Talkshows sind eigentlich überflüssig. Für die Neuauflage der Gender-Diskussion bei „Hart aber fair“ gilt das ganz besonders
Ich gestehe: Ich mag keine Talkshows. Warum viele Fernsehzuschauer ihr Wohnzimmer allabendlich von Dampfplauderern beschallen lassen, ist mir ein Rätsel. Weshalb die großen Internetseiten jede Quasselrunde anschließend auch noch wie ein Fußballfinale sezieren und den beklatschen, der besonders eng am Mainstream entlanggeschwommen ist, wissen sie am besten. Und wieso die immer gleichen Köpfe aneinander vorbeireden dürfen, ohne dass die Deutschen den roten Knopf auf der Fernbedienung finden, sollen Psychologen klären.
Ich verstehe es nicht. Vielleicht ist die Talkshow ja der Stammtisch des 21. Jahrhunderts.
Eigentlich müsste ich mich also über jede Entfernung einer Talkshow aus der Mediathek freuen. Ging der WDR also mit gutem Beispiel voran, als er die „Hart aber fair“-Ausgabe löschte zum Thema „Nieder mit den Ampelmännchen, her mit den Unisextoiletten – Deutschland im Gleichheitswahn?“ Mitnichten. Denn der seltene Schritt hat wenig mit Qualitätskontrolle, aber viel mit Selbstzensur zu tun.
Schon direkt nach der Ausstrahlung am 2. März (!) fielen die Bewertungen verheerend aus. Der „Focus“ konzentrierte sich ganz auf den Flirt zwischen den Diskutanten Wolfgang Kubicki (FDP) und der Schauspielerin Sophia Thomalla, die „Frankfurter Rundschau“ beklagte die „unübersichtliche Debatte“, und „Stern.de“ empörte sich über „ohrenbetäubendes Ego-Gepöbel“ über die Chancengleichheit, bemäkelte einen „Schlagabtausch ohne jeden Wissensgewinn“. Also alles wie immer. Lange geschah nichts.
Bis sich Frauenverbände und die Landesarbeitsgemeinschaft der Gleichstellungsbeauftragten in NRW der Sache annahmen und „die Grenze des Zumutbaren im öffentlich-rechtlichen Fernsehen überschritten“ sahen. Sie schossen scharf und trafen. Der WDR-Rundfunkrat und der WDR-Programmausschuss fanden die Sendung dann ebenfalls unseriös und verbannten sie: raus aus dem Netz, rein in den „Giftschrank“.
Nun soll Moderator Frank Plasberg am 7. September nachsitzen und dieselbe Runde zum selben Thema noch einmal einladen. Das erinnert an die Probe beim Schulchor, und der WDR behandelt Plasberg wie einen Chorknaben. Schlecht gesungen? Das Ganze gleich noch einmal. Aber bitte richtig!
Beim gemeinsamen Musizieren geht das in Ordnung, aber nicht in einer politischen Debatte. Und das sollen Talkshows ja dem Selbstverständnis nach sein. Im Gender-Streit aber schlüpft eine Partei zugleich in die Rolle des Schiedsrichters und ruft: „Unseriös, einseitig, völlig überzogen!“ Die Gender-Apologeten diskutieren erst mit und senken anschließend den Finger. Wenn die Sendung ihnen nicht passt, muss eben noch einmal diskutiert werden – bis das Ergebnis gefällt. Man stelle sich vor, die katholische Kirche hätte Ähnliches im Talkshow-Streit um den ehemaligen Limburger Bischof Tebartz-van Elst versucht. Oder die politischen Parteien hätten jemals nach einer Talkshow Protest eingelegt und eine „seriöse“ Neuauflage gefordert. Da wäre aber was los gewesen in der Republik. Das wäre als Angriff auf die Pressefreiheit gewertet worden – mindestens.
Der WDR hat sich bis auf die Knochen blamiert und blamiert sich weiter. Man darf gespannt sein, ob alle Gesprächsteilnehmer aus dem März im September ihre Sätze wiederholen dürfen. Und wenn ja? Wie reagieren dann die Gleichstellungsbeauftragten? Sie kritisierten ja schon im März die Auswahl der Gäste.
Muss Plasberg vor der Neuauflage dem Frauenrat seine „manipulativen“ Fragen vorlegen? Und wie verhindern die Aktivistinnen den „ungeheuerlichen Machtmissbrauch des Moderators“? Man darf gespannt sein.
FDP-Mann Wolfgang Kubicki hat schon geflachst, als Erstes fragen zu wollen: „Lieber Herr Plasberg, was darf ich sagen, ohne gleich wieder aus der Mediathek zu fliegen?“ Wenn er die Sache etwas ernster nähme, würde er seine Teilnahme an dieser Gespensterdebatte besser absagen. Und Frank Plasberg kann alternativ mal was ganz Neues diskutieren – vielleicht die Euro-Krise oder das Flüchtlingsdrama? In der Maske dürften noch ein paar Experten vom letzten Mal sitzen.