Wenn Fußball ein Wunschkonzert wäre, dann sollteScharner einfach nur schweigen und Westermann für Betis spielen.

Fußball ist bekanntlich kein Wunschkonzert. Und die Bundesliga erst recht nicht. Was im Grunde sehr bedauerlich ist, denn wäre es ein Wunschkonzert, so würde ich mir ganz dringend wünschen, dass Heiko Westermann demnächst für Juventus Turin in der Champions League spielt. Und wer nun nicht mehr weiß, welcher Westermann gemeint ist: Es ist vom ehemaligen HSV-Kapitän die Rede, der erst vom Trainer degradiert, dann von den eigenen Fans in Hamburg bei jeder Ballberührung ausgepfiffen – und schließlich mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt wurde. Und genau dieser Heiko Westermann stand tatsächlich in Verhandlungen mit der „alten Dame“ aus Italien. Unfassbar? Nein, nur für Hamburger!

50 Prozent der HSV-Anhängerschaft akzeptierten ihn so, wie er war, 50 Prozent wollten ihn nur auf der Tribüne sitzen sehen. Zu viele Stockfehler, zu viele Fehlpässe. Diejenigen, die ihn schätzten, die wussten, wie sehr sich der Abwehrspieler darum bemühte, aus der HSV-Truppe mit den vielen Möchtegernstars eine echte Einheit zu formen. Dafür gab er alles, aber kaum einer der Fans hat es bemerkt. Stattdessen gab es gellende Pfeifkonzerte, wenn er den einen oder anderen Ball verstolperte. So gnadenlos ist Profi-Fußball.

Inzwischen ist Westermann, 31, kein Nationalspieler mehr. Immerhin hat er es auf 27 Länderspiele gebracht, Bundestrainer Joachim Löw schätzte seinen Einsatz und seine Loyalität. In Hamburg aber haben sie ihn nicht mehr gewollt, in Turin überlegten sie noch, genau wie in Leverkusen, am Donnerstag weilte Westermann bei Betis Sevilla zum Medizincheck.

Die HSV-Fans aber sollten sich allmählich einmal fragen, ob sie wirklich immer richtig liegen. Einst zog es den ungeliebten Piotr Trochowski zum Europa-League-Teilnehmer FC Sevilla, und der ebenso wenig geliebte Dennis Aogo spielt mit Schalke international. Jetzt noch Westermann. Diejenigen, die diese HSV-Spieler einst zum Teufel wünschten, müssten spätestens jetzt an ihrem Fußball-Sachverstand zweifeln – oder nicht? Zumal alle diese drei Profis immer eine gewisse Rolle bei „Jogi“ Löw gespielt haben. Und der Freiburger ist immerhin der Coach des derzeitigen Weltmeisters, hat also durchaus Ahnung von Fußball.

Kommt jetzt die Zeit für Fans, alles noch einmal zu überdenken? Um festzustellen, dass dieser HSV nun wirklich keinen Grund mehr hat, Stammspieler wie Trochowski, Aogo, Westermann und auch David Jarolim einfach so vor die Tür zu setzen. Diese Art von Überheblichkeit ist nicht mehr angebracht.

Oder passt sie vielleicht gerade in diese neue Fußball-Zeit? In dieser Woche hat der ehemalige Bundesliga-Trainer Peter Neururer gesagt: „Die Fans werden von den Clubs nur noch verarscht ...“ Und das schreibt in etwa auch der frühere HSV-„Star“ Paul Scharner. Der Österreicher hat jetzt ein Buch über den Profi-Fußball veröffentlicht und geht gnadenlos zur Sache. Das darf sich auch einer erlauben, der im Fußball fix abgeräumt hat. Und das hat Scharner. Oder kennen Sie ihn etwa nicht? Das ist der Mann, der von Trainer Thorsten Fink einst noch unbedingt als siebter Innenverteidiger benötigt wurde und der dann ganze vier Bundesliga-Einsätze für den HSV schaffte. Ein so verdienstvoller Spieler darf natürlich seinen Mund aufmachen – oder eben auch mal ein Buch schreiben, keine Frage.

Was er aber zum HSV, speziell zu Uwe Seeler und zu den Europameistern von 1983 gesagt hat, ist ein starkes Stück. Und darf nicht unwidersprochen hingenommen werden. Ohne die Helden von ’83, erst recht ohne einen Weltstar wie Uwe Seeler, wäre der HSV eine graue Maus im deutschen, vor allem aber im europäischen Fußball. Diese HSV-Spieler von einst haben dem Club zu Weltruhm verholfen – und was hat eigentlich Paul Scharner für die Raute getan? Nichts! Null. Deshalb wäre Schweigen einfach nur goldig gewesen.

Ach, wäre der Fußball doch nur ein Wunschkonzert. Zwei Wünsche hätte ich: Scharner sollte nur über den Fußball in Österreich schreiben – und Westermann nach starken Leistungen für Sevilla von „Juve“ abgeworben werden.

Die HSV-Kolumne Matz ab gibt es täglich im Internet unter www.abendblatt,de/matz-ab