Die Diskussion über Unterkünfte ist viel differenzierter, als man das oft denkt.
Wer die Abendblatt-Serie über die bestehenden und geplanten Flüchtlingsunterkünfte in Hamburgs Bezirken gelesen hat, weiß: Mit diesem Thema werden kurz- bis mittelfristig fast alle Menschen in der Stadt konfrontiert werden. Das steht fest.
Nicht fest steht, wie die Betroffenen reagieren, weil es einen Unterschied macht, ob man sich theoretisch eine Flüchtlingsunterkunft in der Nachbarschaft vorstellen kann oder ob sie tatsächlich kommt. Das Tagebuch des Poppenbüttelers Jan Melzer, das das Hamburger Abendblatt in regelmäßigen Abständen veröffentlicht, zeigt sehr anschaulich, wie komplex das Thema und wie groß die innere Zerrissenheit der Beteiligten sein kann – und dass man mit vorschnellen Urteilen vorsichtig sein muss. Das dokumentieren auch die vielen Leserbriefe, die oft sehr differenziert sind.
Wer glaubt, die Bevölkerung teile sich in zwei Gruppen, die einen, die den Flüchtlingen helfen wollen, wo sie nur können, und die anderen, die sie am besten gar nicht erst hier haben wollen, der irrt. Die mit Abstand größte Gruppe sind jene Menschen, die irgendwo zwischen den beiden Polen liegen. Die die Nöte der Flüchtlinge verstehen und sie willkommen heißen, sich angesichts der kaum noch zu kontrollierenden Lage aber auch Sorgen machen und Fragen stellen. Was, und das muss einmal klar gesagt werden, in der Regel überhaupt nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun hat, in Hamburg schon gar nicht. Die Willkommenskultur ist in dieser weltoffenen Stadt, wie nicht anders zu erwarten, ausgeprägter als anderswo, der mit Pragmatismus gepaarte Sinn für Realitäten allerdings auch. Und weil es keine einfache, allgemein gültige Lösung in den Flüchtlingsfragen gibt, versuchen immer mehr Menschen, wenigstens eine für sich selbst zu finden. Da gibt es die einen, die in den sich ständig vergrößernden Flüchtlingsinitiativen Sachspenden, wie etwa jene aus der großen Abendblatt-Aktion, sortieren. Andere nehmen an den Informationsabenden teil, die es nahezu in jeder Woche in verschiedenen Hamburger Stadtteilen gibt. Wieder andere bieten an, mit Flüchtlingen Deutsch zu lernen, beim Einkaufen zu helfen usw.
Dabei geht es nicht darum, wie groß die Leistung des Einzelnen ist. Es geht darum, dass man sich über all das, was man täglich hört und liest über Flüchtlinge und Flüchtlings-Unterkünfte, ein eigenes Bild macht. Das wird künftig immer leichter, weil die meisten Hamburger von einer Unterkunft nur ein Fußmarsch trennen wird. Es ist wie bei einem Nachbarn, der vor ein paar Wochen eingezogen ist und von dem man schon so viel gehört hat: Man muss ihn kennenlernen, erst dann wird man sich ein Urteil bilden können. Zumindest kann man sich einmal ansehen, wie und wo er lebt. Das kostet ein paar Minuten, kann die eigene Einschätzung der Lage aber deutlich verändern. Zum Guten und zum Schlechten, aber das ist dann eben so. Wichtig ist, dass man sich überhaupt darauf einlässt.
Ja, das Flüchtlings-Thema ist ein Thema, das die gesamte Stadt betrifft. Aber vor allem betrifft es die Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung. Und sie, also wir alle sind es, die beeinflussen können, wie sich die Lage in der Nachbarschaft entwickelt und was dort auf die Flüchtlinge und die Hamburger zukommt.
Man muss sich in einer Stadt wie der unsrigen zum Glück wenig Sorgen darum machen, dass dabei grundsätzlich etwas schief- oder in die falsche Richtung laufen wird, selbst dann nicht, wenn Verwaltung und Behörden an ihre Grenzen stoßen sollten. Eine Bürgerrepublik, wie es die Freie und Hansestadt Hamburg ist, hat schon ganz andere Probleme gelöst. Jeder für sich – und damit alle gemeinsam.