Zweimal haben russische Offiziere die Welt gerettet. Darauf wollen sich Obama und Putin offenbar nicht mehr verlassen – und reden wieder miteinander

Der 27. Oktober 1962, der „schwarze Sonnabend“, markiert einen Höhepunkt der Kubakrise zwischen den USA und der Sowjetunion. An diesem Tag orteten US-Kriegsschiffe unter Führung des Flugzeugträgers „USS Randolph“, die das Embargo gegen Castros Kuba durchsetzen sollten, in internationalen Gewässern ein U-Boot. Der Zerstörer „USS Beale“ setzte Wasserbomben ein, um das Boot – die mit Atomtorpedos bestückte sowjetische B-59 – zum Auftauchen zu zwingen. Deren Besatzung wusste nicht, dass nur Übungs-Wasserbomben explodierten.

U-Boot-Kapitän Walentin Sawitzki ging davon aus, dass der Dritte Weltkrieg ausgebrochen war und befahl, die „USS Randolph“ mit Atomtorpedos zu pulverisieren. Für den Abschuss war die Zustimmung von drei Offizieren an Bord notwendig, aber einer von ihnen, Wassili Alexandrowitsch Archipow, zweifelte am Kriegsausbruch und weigerte sich. Er überredete den Kapitän, stattdessen aufzutauchen – und wendete so eine nukleare Apokalypse ab.

Am 26. September 1983 meldete der satellitengestützte Computer der sowjetischen Kommandozentrale im Serpuchow-15-Bunker südlich von Moskau zunächst eine, dann fünf anfliegende amerikanische Atomraketen. Der leitende Offizier, Oberstleutnant Stanislaw Petrow, stand unter enormem Druck. Er traf schließlich die einsame Entscheidung, dass es sich um einen Fehler handeln müsse und gab keinen Atomalarm. Petrow hatte recht: Das sowjetische Satellitensystem hatte Sonnenreflexionen auf den Wolken über der US-Raketenbasis Malmstrom Airforce Base in Montana als Raketenstarts interpretiert.

Zweimal also haben russische Offiziere die Welt im Kalten Krieg vor der Vernichtung gerettet. Ausgerechnet, muss man sagen; denn die sowjetische Planung sah im Kriegsfall einen schnellen und vernichtenden Einsatz von Atomwaffen gegen die wirtschaftlich überlegene Nato vor.

Nun ist ein neuer Kalter Krieg ausgebrochen – und Russland ist der Nato heute ökonomisch, technologisch und militärisch noch weit stärker unterlegen. Erst recht sieht heute die strategische Planung Russlands einen frühen Einsatz von Atomwaffen vor. Durch die Ukraine-Krise ist eine Rüstungsspirale in Gang gekommen; die Rhetorik zwischen Russland und dem Westen ist gelegentlich von beunruhigender Schärfe. Russlands Präsident Wladimir Putin hat sogar geprahlt, er könne die USA „in einer halben Stunde zerstören“.

Umso überraschender ist, dass es in den vergangenen drei Wochen nach vier Monaten eisigen Schweigens gleich zu zwei Telefonaten zwischen Putin und US-Präsident Barack Obama gekommen ist – übrigens auf Putins Initiative. Zudem dankte Obama Putin überraschend für dessen „wichtige Rolle“ beim Zustandekommen des Atomabkommens mit dem Iran.

Hohe Vertreter beider Regierungen trafen sich gleich mehrfach zu Gesprächen. US-Außenminister John Kerry hatte bereits im Mai nach ersten Unterredungen mit Putin und Außenminister Sergej Lawrow gesagt, diese Treffen könnten sich als „wahrhaft historisch“ erweisen, da sie vielleicht einen „Reset“ in den Beziehungen zu Russland einleiten könnten. Mit dem Versuch einer derartigen „Neueinstellung“ war Obama 2010 noch kläglich gescheitert.

Von einem Tauwetter kann noch keine Rede sein; die Lage in der Ost­ukraine ist unverändert brandgefährlich. Immerhin ist nun aber zumindest ein Wille zu einer punktuellen Kooperation erkennbar, die geeignet sein könnte, die kriegsträchtigen Spannungen etwas zu mildern. In Washington weiß man: Ohne Mitwirkung der Veto-Macht Russland ist den Krisenherden Syrien, Ukraine und „Islamischer Staat“ kaum wirksam beizukommen. Putin wiederum ist sich darüber im Klaren, dass die westlichen Sanktionen die Wirtschaft seines ohnehin angeschlagenen Landes gefährlich schwächen.

Der Entschluss, einen Weg zur echten Entspannung einzuschlagen, steht noch aus. Derzeit geht es vor allem darum, eine eskalierende Lage zu vermeiden, in der das Überleben der Welt eines Tages wieder von der Weitsicht und dem Mut von Männern wie Archipow und Petrow abhängen könnte.