Die Geldgeber müssen sich eingestehen: Ihre Politik führte in die Katastrophe. Drei Schritte sind jetzt nötig – egal, wie das Referendum ausgeht.

Die Lage in Europa hat sich dramatisch und gefährlich zugespitzt. Die Entscheidung der Regierung Tsipras, das griechische Volk bei einem Referendum über das Angebot der Geldgeber abstimmen zu lassen, kann vielerlei Interpretationen finden. Eine Mehrheit derjenigen, die hierzulande die öffentliche Meinung beeinflussen, versucht uns davon zu überzeugen, dass die Gläubiger Kompromissbereitschaft gezeigt haben. Die griechische Regierung soll unerwarteter Weise die Verhandlungen verlassen haben. Zudem argumentieren sie, dass ein Ja oder Nein der Griechen ein Ja oder Nein zum Euro bedeutet. Sachliche Argumentation oder beispiellose Propaganda? Die Bundesregierung hat bis zum letzten Freitag behauptet, ein Grexit wäre so gut wie kein Problem, denn er wäre verkraftbar. Dennoch: In europäischen Regierungskreisen scheint sich Angst breit zu machen.

Seit nun fünf Jahren ringt Europa um eine Lösung der Krise. Ein Merkmal hat das bisherige Krisenmanagement: Die endgültige Lösung wird immer wieder vertagt! Von Gipfel zu Gipfel entscheiden sich unsere Politiker, sich nicht zu entscheiden. Europa ist die Geisel unentschlossener Politiker und sitzt seit 2010 im Wartezimmer! Nun, in Anbetracht des griechischen Referendums und der Bedeutung, die dieses annimmt, führt der eine Zimmerausgang in eine schwierige, aber solidarische europäische Zukunft. Der zweite führt in den Abgrund.

Im Jahr 2010 standen unsere Politiker in der Eurozone vor einer Entscheidung. Den Mut, mit dem Problem ein für alle Mal fertig zu werden und einen umfangreichen Schuldenschnitt zu machen, haben sie nicht gehabt. Aus Angst, dass die eigenen Banken mit Steuergeldern refinanziert werden müssten, haben sie mit gewaltigen Geldsummen die griechischen Schulden von privater in die öffentliche Hand verschoben. Gleichzeitig haben sie Griechenland Sparmaßnahmen enormen Ausmaßes auferlegt und zwangen die Wirtschaft des Landes, massiv zurückzufahren. Bei Rekordarbeitslosigkeit sind breite Teile der griechischen Bevölkerung in Armut und Elend abgestürzt. Menschen sterben, weil sie nicht in der Lage sind, ihre Therapien zu bezahlen. Rund drei Millionen Griechen sind nicht mehr versichert. Zum Vergleich: Es ist, als ob in Deutschland etwa 23 Millionen Menschen nicht kranken- und sozialversichert wären! Dies ist nicht das Ergebnis der Krise, sondern die Folge der Politik zur Bekämpfung der Krise.

Die Geldgeber, die eigentlich Politiker sind, schließen die Augen, nehmen die katastrophalen Folgen ihrer Politik nicht wahr und weigern sich, das Scheitern zuzugeben. Zu groß ist ihre Angst, von den eigenen Wählern bestraft zu werden. Diese Politik muss jetzt korrigiert werden. Eine nachhaltige Lösung muss drei Hauptmerkmale haben.

Erstens: weitere Reformen und Sparmaßnahmen, die auch in Griechenland unbestritten sind, allerdings abhängig von der Wirtschaftsleistung und mit einem angepassten Tempo, damit die Gesellschaft diese auch verkraften kann.

Zweitens: Hilfen und Investitionen, die dem Land und den Menschen eine Perspektive wiedergeben und die humanitäre Krise bekämpfen.

Und drittens: eine umsetzbare Gestaltung der Schuldenrückzahlung. Die zu tätigenden Zahlungen hängen wie ein Damoklesschwert über dem Land. Ohne eine Reduzierung der Zinssätze, eine Verschiebung und Kopplung der Zahlungen an die Wirtschaftsleistung, wird es nicht funktionieren.

Das griechische Referendum ist deswegen verhasst, weil es bei den Geldgebern wie ein Spiegel funktioniert, der ihnen das hässliche Gesicht ihrer bisherigen Politik zeigt. Unabhängig vom Ausgang des Referendums muss eine neue Vereinbarung diese drei Punkte unbedingt berücksichtigen. Und man darf erheblich daran zweifeln, dass der sogenannte Grexit, dem die Griechen nie freiwillig zustimmen werden, eine kostengünstigere Variante für die Europartner sein wird. Sowohl ökonomisch als auch politisch, geopolitisch und moralisch wird dies das denkbar schlechteste Szenario mit katastrophalen Folgen für alle sein. Ein Grexit wird das Scheitern des EU-Projektes bedeuten!

Die Reaktionen der letzten Woche belegen diese These sehr eindrucksvoll. Plötzlich ist es für unsere Politiker, allen voran für Frau Merkel, ungemütlich im Wartezimmer geworden. Helmut Kohl wird in die Geschichte als Kanzler der deutschen Einheit eingehen. Angela Merkel darf nicht die Kanzlerin der europäischen Spaltung werden.