Es ist sinnlos, sich über die US-Ausspähung Deutschlands zu empören. Es hilft nur ein Kraftakt
Die Spionageangriffe des US-Geheimdienstkraken NSA auf 69 Telefonnummern der Bundesregierung illustrieren ein weiteres Mal lebhaft die zuletzt vom früheren US-Botschafter John Kornblum geäußerte Wahrheit, dass Staaten keine Freunde, sondern nur Interessen haben.
Und die Auswahl der Zielorte dieser Ausspähaktionen – das Kanzleramt sowie die Ministerien für Wirtschaft, für Finanzen und für Landwirtschaft – sprechen den Behauptungen der US-Regierung Hohn, dass derartige Nachrichtensammlungen allein dem Schutz vor Terrorangriffen dienten. Hier geht es um eiskalte Spionage, die den USA wirtschaftliche oder politische Vorteile bringen und ihre international ohnehin dominierende Position zu unseren Lasten zementieren sollen.
Die ungeheure und mit Multimilliarden Dollars finanzierte amerikanische „intelligence community“ mit ihren 17 Geheimdiensten ist Kern der mittlerweile schon berüchtigten „Five Eyes“. Die Spionagedienste der USA, Großbritanniens, Australiens, Kanadas und Neuseelands bilden eine Allianz, die der NSA-Enthüller Edward Snowden 2013 eine „supranationale Geheimdienstorganisation, die sich nicht an die Gesetze ihrer eigenen Länder gebunden fühlt“, genannt hat.
Die enge Kooperation der „Five Eyes“, kurz FVEY, geht auf eine informelle Absprache im Zuge der amerikanisch-britischen „Atlantic Charter“ des Jahres 1941 zurück, mit der die alliierten Ziele im Kampf gegen Nazideutschland umrissen wurden.
Das geradezu fieberhafte Ausspähen auch von engen Verbündeten wirkt inzwischen fast paranoid; es ist die Konsequenz einer wachsenden Herausforderung der USA, vor allem durch China, Russland und den internationalen Terrorismus. Diese Spionageorgie ist keineswegs außer Kontrolle – sie ist nur außer Kontrolle der für alle anderen Organisationen und Bürger der Zivilgesellschaft geltenden Gesetze. Weniger beunruhigend ist das aber nicht.
Was Politik und Öffentlichkeit in Deutschland in ihrer Entrüstung nur widerstrebend begreifen wollen, ist, dass diese Schattenwelt der Spionage kaum juristischen und schon gar keinen moralischen Einschränkungen unterliegt. Aus den NSA-Dokumenten soll unter anderem hervorgehen, dass die „Five Eyes“ absichtlich gegenseitig ihre Bürger ausspähen – und dann die Ergebnisse austauschen. So sollen gesetzliche Hürden bei der Spionage zum Nachteil des eigenen Volkes umgangen werden. Von Washington zu erwarten, sich selber Beschränkungen in der Nachrichtenbeschaffung aufzuerlegen, ist rührend naiv.
Die deutsche Position ist schwach in dieser Gemengelage, denn der Bundesnachrichtendienst verfügt nicht einmal ansatzweise über die technischen Spionagemittel der NSA oder des britischen Gegenstücks GCHQ. Und Deutschland ist ein sehr wahrscheinliches Ziel islamistisch motivierter Terrorangriffe. Um kostbare Brosamen vom Tisch der „Five Eyes“ aufschnappen zu können, musste Deutschland bislang die NSA und ihr Spionagenest im bayerischen Bad Aibling gewähren lassen oder sogar dabei helfen, die eigene Industrie auszuspähen.
Deutschland sollte sich nicht sinnlos ins Leere empören. Es hat nur die Wahl, entweder weiter in der Duldungsstarre eines Abhängigen zu verharren oder aber den politischen Mut aufzubringen, sich von den USA zu emanzipieren. Dann müssen wir allerdings auch sehr viel Geld in die Hand nehmen, um unsere sensiblen Bereiche in Politik und Wirtschaft wirkungsvoll zu schützen und um eigene, effektive Spionagekapazitäten aufzubringen. Nach einem solchen Kraftakt sieht es allerdings nicht aus.