Der Streik ist kaum noch zu ertragen. Aber danach wird es leider auch nicht besser

Es gibt Streiks, die einen sofort betreffen und andere, bei denen man die Auswirkungen erst sehr viel später spürt. Der Poststreik gehört zur zweiten Kategorie. Die ersten Tage ohne Briefe und Pakete nahm man nur am Rande wahr, so etwas passiert ja schließlich.

Inzwischen kann man sich kaum erinnern, wann denn zum letzten Mal das abonnierte Exemplar des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ im Briefkasten lag. Vor drei, vier oder fünf Wochen? Was ist eigentlich aus den reklamierten Puppen geworden, die an sich ein Geburtsgeschenk werden sollten? Und wann kommen die dringend benötigten Unterlagen von der Behörde? Oder, noch schwerer zu beantworten: Wo sind die wohl gerade?

Der Poststreik zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie sehr wir auch im digitalen Zeitalter auf Briefe und Pakete angewiesen sind. Welche Folgen es hat, wenn diese einmal nicht wie gewohnt kommen, ist schwer abzuschätzen: Wie viele Hamburger werden schon Zahlungsziele versäumt haben und irgendwann zeitgleich mit der Rechnung die Mahnung erhalten? Welche Einladungen wird man verpassen oder nicht rechtzeitig beantworten, welche Angebote nicht nutzen können? Und wen kann man für finanzielle oder andere Nachteile eigentlich zur Verantwortung ziehen?

Ja, dieser Streik fängt an, richtig ärgerlich zu werden. Erstens, weil er so viele Menschen betrifft: diejenigen, die Nachrichten versenden wollen/müssen, und die, die zum Teil dringend darauf warten. Zweitens, weil niemand genau vorhersehen kann, wann er denn zu Ende ist. Und drittens die vielleicht wichtigste Frage: Wie geht es weiter, wenn die Post wieder wie gewohnt arbeitet?

Niemand kann heute sagen, wie lange die Briefträger und Paketboten allein dafür brauchen werden, die liegengebliebenen Sendungen an die richtigen Adressen zu bringen. Nehmen wir nur mal an, ein Haushalt erhält jeden Tag zwei Briefe, Postvertriebsstücke, was auch immer. Dann müssten ihm nach dem Ende eines vierwöchigen Streiks 48 Teile zugestellt werden.

Nach fünf Wochen wären es schon 60, nach sechs Wochen 72 und so weiter ... Schon zehn Briefe überfordern einen handelsüblichen Briefkasten; alles was darüber hinaus geht, ist indiskutabel. Insbesondere, wenn die Kunden tatsächlich im Nachhinein alles erhalten sollten, was in den Streikwochen für sie vorgesehen war: Was sollen wir schließlich mit der Werbung von Supermärkten oder anderen Einzelhändlern, die vor sieben oder 14 Tagen aktuell waren? Was mit der TV-Zeitschrift von Mitte Juni?

Es ist zu befürchten, dass all das und noch viel mehr auf uns wartet – womit wir vor dem nächsten Problem in den jetzt beginnenden Urlaubs- und Ferienwochen stehen: Viele Menschen werden schlicht nicht da sein, wenn der Postmann wirklich einmal klingelt, weil er seine Ladungen ob ihrer schieren Größe persönlich abgeben muss. Und wenn dann keiner öffnet? Werden sich dann Briefe und Pakete vor Haus- und Wohnungseingängen türmen? Oder in den Fluren der Nachbarn?

Auf jeden Fall wird weiter Zeit vergehen, bis wir sie lesen und bearbeiten, bis wir Geld überweisen und Mahnungen zurückweisen können. Und es wird selbst nach dem Streikende länger dauern, bis der Postbote wieder nur die aktuellen Briefe und Pakete bringt.

Schon jetzt kann man es sich als Kunde kaum vorstellen, wie es die Männer und Frauen auf ihren begrenzt beladbaren Fahrrädern schaffen sollen, die angehäuften Rückstände abzuarbeiten. Wie sagte ein Nachbar neulich so nett? „Allein für die Post, die ich erwarte, braucht unser Briefträger locker eine Woche.“

Viel Spaß!