Der Ausstand bei der Post spendiert uns eine Denkpause. Wollen wir die Folgen des fatalen Online-Handels tragen?

Eigentlich muss man Ver.di dankbar sein. Zwar mutet der Streik ausgerechnet gegen das Unternehmen, das seine Paketboten noch am besten bezahlt, etwas schräg an; zugleich zeigt er uns Kunden, wie viel wir inzwischen im Internet bestellen. Viel. Sehr viel. Zu viel.

Weil die wenigen verbliebenen Paketboten weder Zeit noch Lust haben, die ganze Nachbarschaft abzugrasen oder zum Wunschort zu laufen, nehmen sie die Pakete kurzerhand wieder mit. Die Folgen lassen sich dann in Schlangen besichtigen, die man seit dem Untergang der unseligen DDR kaum mehr gesehen hat. Lindwurmartig schlängeln sie sich um die raren Postfilialen mit ihren minimalistischen Öffnungszeiten (10 bis 18 Uhr!).

Das Gute: In diesen Schlangen kommt man zum Nachdenken. Und während die bemitleidenswerten Postler ein Amazon-Päckchen nach dem anderen Zalando-Paket zu den Schaltern wuchten, darf man die Frage beantworten: Soll so die Zukunft aussehen? Soll der Online-Handel immer weiterwachsen? Und wie verändert das die Stadt? Eines scheint klar: Es wird ein dramatisches Ladensterben geben, zunächst in den Klein- und Mittelstädten, dann auch in den Metropolen. Leere Geschäfte und verwaiste Erdgeschosse, die man derzeit schon an einigen ehemaligen Einkaufsmeilen wie der Lüneburger oder der Fuhlsbütteler Straße besichtigen kann, drohen in vielen Stadtteilen Realität zu werden.

Über 60 Prozent der Einzelhändler klagen schon jetzt über sinkende Besucherzahlen. Und das ist erst der Anfang: Experten rechnen durch den Online-Handel mit einem Umsatzeinbruch von bis zu 30 Prozent. Wer wird in der Ära von Amazon noch eine Buchhandlung eröffnen, in Zeiten von Zalando einen Klamottenladen oder im Wettbewerb mit dem WWW ein Spielzeuggeschäft? Wer soll die leeren Läden mieten? So viel Kaffee, dass überall Coffeeshops einziehen, können nicht einmal die Deutschen trinken – und mehr Matratzen braucht kein Mensch. Zudem kommt jüngst ein weiterer Trend hinzu – immer mehr Menschen, zuletzt waren es 20 Prozent, bestellen ihre Ware regelmäßig im Ausland. Leben bringen bald nur noch Zweite-Reihe-Parker in diese Viertel – leider liefern auch sie Pakete aus.

Sämtliche Beschäftigungseffekte dürften am Ende deutlich negativ ausfallen: Natürlich werden neue Jobs bei Paketzustellern, in den Verteilzentren oder bei den Online-Händlern entstehen. Viele Selbstständige und ausgebildete Einzelhändler aber sind die Opfer der Entwicklung.

Zudem setzt sich der Trend zur Monopolisierung fort: Im Internet gewinnen die Großen noch hinzu, hier machen ein paar Multis das Geschäft unter sich aus. Und diese Riesen sind nur in einer Kategorie gerne klein – im Steuerzahlen. Amazon etwa nutzt die teure deutsche Infrastruktur und den großen Markt, minimierte seine Abgaben aber über ein Luxemburger Steuersparmodell. Immerhin wollen sich die Amerikaner jetzt bessern.

Auch in der Klimabilanz wirkt der Einkauf mit der Maus eher wie ein Heizpilz im Treibhaus: Zwar kann das direkt zugestellte Päckchen nach einer Studie des Öko-Instituts sogar umweltfreundlicher sein als der klassische Einkaufsbummel – aber grau ist alle Theorie. Wie oft landen die Pakete wirklich gleich beim Kunden und nicht in der Packstation oder in der Postfiliale? Wie oft teilen sich größere Bestellungen wegen Lieferschwierigkeiten in mehrere Tranchen auf? Und kaum sind die Päckchen da, müssen sie auch schon wieder los. Mal passt der Schuh nicht, dann sitzt das Kleid schlecht, dann ist etwas kaputt, fehlt, missfällt. Einzelne Branchen haben Rücklaufquoten von 70 Prozent! Spätestens dann wird das vermeintliche umweltfreundliche Bestellen schnell zur Öko-Sauerei.

Ja, auch Einkaufen ist politisch, Shoppen verändert die Stadt. Wenn die Deutschen nur halb so links oder halb so grün einkaufen, wie sie wählen, wäre dem Handel vermutlich schon geholfen und der Verödung der Städte ein wenig entgegengewirkt. Umkehren lässt sich der Online-Trend nicht, aber man kann ihn gestalten.

Auch die Einzelhändler können übrigens ihren Beitrag leisten – mit Service, Ideen, Freundlichkeit und einem eigenen Internetshop.