Es ist Zeit für die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare. Der Widerstand der Kanzlerin dürfte vor allem Strategie sein.

Die Hansestadt war Vorreiterin: 1999 konnten Homosexuelle hier erstmals ihre Partnerschaften beim Standesamt eintragen lassen, im Jahr 2001 war Hamburg dann das erste Bundesland, das eingetragene Lebenspartnerschaften ermöglichte. Vielen Kritikern galt dieser Schritt damals als ungeheuerlicher Vorgang; inzwischen ist die Homo-Ehe fast europäische Normalität. In einer Volksabstimmung sprachen sich nun sogar die katholischen Iren dafür aus. In Deutschland wäre ein ähnliches Ergebnis zu erwarten. ­

18 Länder haben die Homo-Ehe anerkannt; in Südafrika oder Brasilien, in Holland oder Spanien genießen Lesben und Schwule die gleichen Rechte. Und das ist auch gut so, denkt man an den legendären Satz Klaus Wowereits, des ersten bekennenden homosexuellen Ministerpräsidenten.

Es ist an der Zeit anzuerkennen, dass auch hierzulande viele Schwule und Lesben leben, die heiraten möchten. Warum sollte man es ihnen verwehren? Das Bekenntnis zueinander und das Versprechen füreinander ist ein durchaus konservatives Statement – gerade in einer Gesellschaft mit Hang zur Beliebigkeit. Das Grundgesetz sollte nicht dagegen stehen: Schon 2002 urteilte das Bundesverfassungsgericht, der besondere Schutz der Ehe in Artikel 6 Absatz 1 hindere den Gesetzgeber nicht, für die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft Rechte und Pflichten vorzusehen, die denen der Ehe gleich oder nahekommen. Zivilisation und Demokratie zeigen sich gerade im Umgang mit Minderheiten – es ist kein Zufall, dass Diktaturen und Mörderbanden von den Nazis bis zum IS Schwule unerbittlich verfolgen und töten.

Zudem könnte die Homo-Ehe den öffentlichen und kulturellen Diskurs etwas beruhigen. Fast so ärgerlich wie die verbrämte Homophobie ist die in der Kultur und Gesellschaft verbreitete demonstrative Überhöhung des Homosexuellen als moderne Lebensart. Das ist sie nicht – sie sollte eine gleichberechtigte Form der Beziehung sein, nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Es mag nachvollziehbar sein, dass sich viele vor allem ältere Mitbürger gegen ein Adoptionsrecht für Homosexuelle sperren. Für Kinder und ihre Entwicklung ist das Aufwachsen in einer harmonischen Ehe von Mann und Frau das Beste – leider aber ist dieser Optimalzustand eher die Ausnahme denn die Regel. Die Welt ist zu kompliziert für einfache Antworten: Im Vergleich etwa zu zerrütteten Elternhäusern oder prekären Alleinerziehenden-Haushalten ist es für Kinder ein Glück, bei zwei liebenden Müttern oder Vätern aufzuwachsen.

Der Druck auf die Kanzlerin, den Widerstand der Union gegen die Homo-Ehe zu beenden, wächst von Tag zu Tag. In einem offenen Brief an Angela Merkel fordern mehr als 150 Prominente die Ehe für alle. Rot-grüne Bundesländer wie Niedersachsen wollen sie im Bundesrat auf den Weg bringen. Unter den Volksvertretern fände die Homo-Ehe längst eine breite Mehrheit. Schon im Wahlkampf hatte die SPD mit dem Motto „100 Prozent Gleichstellung nur mit uns“ geworben und weist ständig darauf hin, diese sei mit der Union leider nicht machbar.

Merkel hat sich dem Ansinnen bislang verweigert und betont über ihren Sprecher, es gebe „Unterschiede, begründet in den Traditionen, kulturellen und religiösen Grundlagen unseres Landes“. Die Kanzlerin weiß um die tief wurzelnden Vorbehalte in ihrer Wählerschaft. Auf anderen Politikfeldern hat Angela Merkel überraschend nonchalant konservative Positionen geräumt – ob beim Mindestlohn, der Atomkraft oder der Wehrpflicht. Viel mehr, das zeigen die jüngsten Erfolge der AfD, ist den konservativen Wählern nicht zuzumuten. Möglicherweise ist der beharrliche Widerstand der Kanzlerin gegen die Homo-Ehe eine Reaktion darauf.