Demografen warnenseit Jahrzehnten. Politik und Gesellschaft aber reagieren kaum

Für Schlagzeilen sind Demografen immer gut. Wann immer die Bevölkerungsforscher ihre Prognosen über die Zukunft der Republik veröffentlichen, ist das Interesse groß. Medien malen Untergangsszenarien, Politiker äußern sich in Moll, und notorische Pessimisten konstatieren, dass sich Deutschland abschafft. Doch so hysterisch wir die Zahlen seit Jahren diskutieren, so wenig reagiert haben wir. Was für ein seltsames Land.

Zunächst einmal ein paar Fakten gegen die Untergangspropheten. Den jüngsten Bevölkerungs­­berechnungen zufolge schrumpft Deutschland dank Zuwanderern langsamer als gedacht. Und Untersuchungen des Max-Planck-Instituts zeigen, dass die tatsächliche Zahl der Geburten höher liegt als statistisch hochgerechnet. Während oft die Zahl von 1,4 Kindern pro Frau angegeben wird, errechneten die Forscher für die Jahre von 2001 bis 2008 eine Ziffer von etwa 1,6 Kindern. Das ist kein Grund, ein Feuerwerk abzubrennen, aber Anlass genug, den demografischen Wandel nicht in düstersten Farben zu malen. Was bei einigen Prognosen zu kurz kommt: Dieser Wandel birgt auch Chancen. Er ist berechenbar, man kann Gesellschaft und soziale Systeme darauf vorbereiten; Firmen könnten ihre Strukturen und Produkte anpassen. Deutschland könnte sogar Modell für eine Entwicklung werden, die mittelfristig den meisten hoch entwickelten Staaten droht. Der Untergang, er dürfte ausfallen.

Doch schönreden sollte man die Entwicklungen ebenso wenig. Bei allen Chancen überwiegen die Risiken. Die Sozialsysteme leiden, Innovationen erlahmen, der Egoismus wächst. Seit den 70er-Jahren weiß man um diese Probleme. Doch die Bundesrepublik hat darauf – auch wegen der fatalen Mutterkreuz-Ideologie im Dritten Reich – nie angemessen reagiert. Während es der DDR, aber auch skandinavischen Staaten gelang, den Pillenknick bald abzufangen, verharrten in Westdeutschland die Geburten auf niedrigem Niveau. Helmut Kohl entwickelte in seiner 16-jährigen Kanzlerschaft wenig Ehrgeiz, darauf zu reagieren; sein Nachfolger Gerhard Schröder sprach in völliger Verkennung der Lage von Familienpolitik als „Gedöns“. Wenn ein Politiker wie jüngst Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) die Binse formuliert „Deutschland braucht mehr Kinder“, wird darüber noch aufgeregt diskutiert. Die Debatte kommt reichlich spät. 1964 gab es den geburtenstärksten Jahrgang, vor 15 Jahren hätte man noch etwas bewegen können. Die nachfolgenden Generationen sind schon deutlich kleiner.

Zudem hat die Politik oft die falschen Maßnahmen ergriffen. Deutschland gibt mehr als 200 Milliarden Euro für familienpolitische Leistungen aus, doch vieles verpufft. Weitaus wichtiger zur Steigerung der Geburtenrate ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hamburg ist immerhin beim Ausbau der Kindergärten und der Ganztags­betreuung im Westen führend.

Genauso wichtig wäre mehr Kinderfreundlichkeit. Hier gibt es massiven Verbesserungsbedarf, vielen Deutschen sind Kinder – auch durch den demografischen Wandel – fremd geworden. Nachbarn klagen gegen Kitas, Sport- und Spielplätze, kinderreiche Familien gelten rasch als asozial (wer ist da eigentlich a-sozial?), Eltern treffen allüberall auf Besserwisser in Sachen Erziehung, aber selten auf Verständnis. In der Öffentlichkeit – ob im Fernsehen, auf Bühnen oder in Medien – werden Familien gern als kaputt oder vorgestrig dargestellt. Das Rentensystem übervorteilt Eltern, die Wirtschaft favorisiert allzeit bereite Singles, einige Forscher möchten gar Geschlechter dekonstruieren. Eine solche Gesellschaft schafft sich selbst eine Welt, in der Kinder keinen Platz mehr haben.