Mehr kann ein EU-Gipfel in der aktuellen Flüchtlingsfrage nicht leisten.

Nichtstun ist angesichts Hunderter oder gar Tausender Ertrinkender im Mittelmeer keine Option. Europa, das sich nicht zuletzt als Wertegemeinschaft in jüdisch-christlicher Tradition versteht, ist zur Hilfe verpflichtet. Darüber besteht Konsens.

Schwieriger ist die Frage, wie den Ursachen des sich immer weiter steigenden Flüchtlingselends zu begegnen ist. Mit Seenotrettung, der Verfolgung von Schleuserbanden und dem Versenken potenzieller Seelenverkäufer lässt sich der Zustrom von Menschen aus dem Nahen Osten und aus Afrika vielleicht etwas eindämmen. An den Bürgerkriegen in Syrien, dem Irak, in Somalia oder an den katastrophalen Zuständen in fast allen afrikanischen Staaten ändert das nichts. Auch nicht am enormen Wohlstandsgefälle von der Nord- zur Südküste des Mittelmeeres. Der Strom der Hoffnungssuchenden dürfte in absehbarer Zeit also kaum nachlassen.

Tatsächlich besteht auch die Gefahr, dass der bei verstärkten Rettungsbemühungen noch anschwillt – mit der grausam-paradoxen Folge, dass trotz mehr Geretteter auch noch mehr Menschen ertrinken. Und sollte die eine Schlepperbande zerschlagen oder ein Ursprungshafen geschlossen werden, würden sich angesichts des lukrativen Geschäfts und des großen Bedarfs umgehend neue Menschenhändler und Routen finden.

An den Ursachen der Fluchtbewegungen trägt der Westen Mitschuld: Das Unwesen, dass der sogenannte Islamische Staat in Syrien und im Irak treibt, wäre ohne die US-Invasion und der folgenden Auflösung von Saddams Armee nicht denkbar. Frustrierte ehemalige irakische Offiziere bilden heute das militärische und organisatorische Rückgrat der Terrororganisation. Auch am desolaten Zustand Libyens, über das derzeit die Mehrheit der Flüchtlinge den Weg nach Europa sucht, haben wir einen Anteil. Nur lässt sich an den Zuständen in diesen Ländern weder mit friedlichen noch militärischen Mitteln kurzfristig etwas ändern. So wenig wie an den beklagenswerten Zuständen in Afrika südlich der Sahara. Aber alle in Europa aufnehmen, die auf der Suche nach einem besseren Leben sind, ist auch keine Lösung. Das würde nicht nur unsere Sozialsysteme überfordern, sondern auch den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährden. Europa ist nicht das Paradies, für das es manche aus der Ferne halten mögen. Auch hier gibt es Euro-Krisen und Arbeitslosigkeit. Zumal auch die Frage im Raum steht, wer es denn in Afrika einmal besser machen soll, wenn der junge und aktive Teil der Bevölkerung im großen Stil sein Glück in der Fremde sucht? Die heimischen Despoten jedenfalls sind froh über jeden potenziellen Umstürzler, der das Land verlässt. Wirtschaftliche Not oder Armut werden auch nicht als Fluchtgründe im internationalen Asylrecht anerkannt.

Es sind extrem langfristige Aufgaben, die Ursachen der modernen Völkerwanderung in ihren Ursprungsländern anzugehen. Sie können nicht zeitnah unter dem Eindruck aktueller Desaster und entsprechendem öffentlichen Handlungsdruck einberufenen EU-Gipfeln beseitigt werden. Ebensowenig helfen moralische Entrüstung und tief empfundenen Betroffenheit.

Dennoch kann Europa neben einer verstärkten Seenotrettung wenigstens bei der Linderung der Symptome einiges besser machen als bisher. Derzeit nehmen die fünf Länder Italien, Griechenland, Malta, Deutschland und Schweden fast 70 Prozent der Flüchtlinge auf, die Europa erreichen. Da gibt es noch deutliche Reserven bei einer solidarischeren Verteilung. Vor allem die Mittelmeeranrainer müssen besser bei der Versorgung der Ankommenden unterstützt werden.