Theater braucht Innovation, findet Armgard Seegers

Natürlich ist es schön, wenn das Schauspielhaus meldet, die Besucherzahlen lägen derzeit so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr, bei 70 Prozent. Das ist beachtlich, nur wenige Stadt- und Staatstheater in Deutschland schaffen das. Das Thalia erreicht im Übrigen ähnlich gute Zahlen.

Aber man muss generell mal darüber klagen dürfen, dass die Theater inzwischen viel stärker von Management- und Geldfragen geleitet werden als von markanten künstlerischen Ideen und Neuschöpfungen. Niemand will ein leeres Theater, aber jede Kunst braucht ästhetische Innovationen, zuvor Unerprobtes, Ungedachtes, Ungeheuerliches.

Welcher Regisseur hat in den vergangenen Jahren noch eine derart eindrucksvolle, mitreißende Handschrift entwickelt, wie es einst Bob Wilson, Peter Zadek, Pina Bausch oder Peter Stein taten? Und auch die Schlingensiefs und Marthalers, die Castorfs und Breths sind schon lange her. Keiner traut sich heute mehr was. Dabei wäre ein uns irritierender Zugriff auf unsere Welt und unser Miteinander, wäre ein kleines künstlerisches Erdbeben so wichtig.

Kasse, Kunden und politische Korrektheit, so heißt es immer wieder, sollen Theaterleute im Kopf behalten, etwas abliefern, das sich rechnet, keinen Ärger verursacht. In der Musik, beim Film und in der Literatur ist es genauso. Was für Künstler wären Grass, Walser, Reich-Ranicki oder Bernhard geworden, wenn sie nicht ohne Rücksicht auf Verluste ausgeteilt hätten? Bei ihnen entstand etwas, das anregt, aufregt. Die Theater gehen heute lieber auf Nummer sicher: Ein Stück, das in die Zeit passt, ein Regisseur mit Namen, was Lustiges fürs Publikum, ein oder zwei Romane, die sich gut verkauft haben – fertig ist der Spielplan. Das ist nett. Aber nett ist das Gegenteil von Kunst.

Der Saisonspielplan 2015/16 des Schauspielhauses (wie auch der des Thalia Theaters) versprechen Neues und Erprobtes, Großes und Kleines. So hält man es an fast allen deutschen Theatern. „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“, heißt es in Goethes „Faust“. Warten wir es ab. Das große Abenteuer scheint nicht im Programm zu sein. Es dreht sich alles immer viel zu viel ums Geld.

Seite 13 Skandalroman auf der Bühne