Es war ein Satz, der fast wie nebenbei fiel und nicht besonders beachtet wurde. „Es muss für unsere Politik eine Mehrheit bei den Bürgern geben“, sagte Olaf Scholz mit Blick auf die kommenden fünf Jahre auf dem SPD-Parteitag am Dienstagabend im Bürgerhaus Wilhelmsburg. Der Satz darf getrost als eine deutliche Absage an jedwede Klientelpolitik verstanden werden. Eine Warnung an den neuen Koalitionspartner ist er allemal. Gerade die Grünen erlagen in der Vergangenheit gern der Versuchung, ihr eigenes Milieu vorrangig mit Wohltaten zu bedienen. Eine auf Dauer erfolgreiche Regierung lässt sich so nicht erreichen.

Soweit, so gut. Doch der Satz hat eine grundsätzlichere Bedeutung, und es bleibt zu hoffen, dass der alte und neue Bürgermeister genau das auch im Blick gehabt hat und beherzigen wird. Die Zeit der von oben verordneten Reformen ist vorbei. Das – auch von Hamburger Sozialdemokraten – gern ins Feld geführte Motto, irgendwann werden die Bürger schon einsehen, wie gut die Politiker es mit ihnen meinen, hat unwiderruflich ausgedient.

Eine moderne Bürgergesellschaft – jedenfalls der aktive, gut ausgebildete und, ja, finanzstarke Teil – versteht es zunehmend, eine Mehrheit im Sinne ihrer eigenen Interessen zu mobilisieren – im Zweifel gegen „die da oben“. Die Volksgesetzgebung hilft ihnen dabei. Der erfolgreiche Volksentscheid gegen die schwarz-grüne Reform zur Einführung der sechsjährigen Primarschule ist dafür das Lehrbeispiel.

Kluge, moderne Großstadtpolitik bezieht die betroffenen Bürger mit ein. Übrigens: Das eigentliche Kunststück besteht zunehmend darin, die politik- und häufig auch bildungsfernen Menschen zu erreichen. Dennoch: Ob sich die Stadt um die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2024 bewirbt, entscheidet letztlich weder der Senat noch die Bürgerschaft und auch nicht der Deutsche Olympische Sportbund. Ob Hamburg ins internationale Rennen geht, entscheiden die Bürger – per Referendum. Nur so lässt sich heute in einer Gesellschaft, in der die Lebensbedingungen und Perspektiven der Menschen sehr unterschiedlich sind, Akzeptanz für Großprojekte herstellen.

Das darf nicht bedeuten, dass „die Politik“ die Bürger laufend fragt, wie sie’s denn gern hätten. Und schon gar nicht darf das dazu führen, dass sich Politiker vor Entscheidungen an Meinungsumfragen orientieren. Das wäre eine Stimmungsdemokratie, die letztlich nur ins Abseits führen würde, weil sie beliebig wäre. Es gilt das Primat der Politik, was aber gerade nicht Basta-Politik bedeutet. Es geht vielmehr darum, Kritik frühzeitig zu hören und Widerstand ernst zu nehmen. Oder: überzeugen statt bevormunden.

SPD und Grüne haben schon vor dem Regierungsstart gezeigt, wie es gehen kann: Sie einigten sich mit der Volksinitiative gegen das umstrittene Busbeschleunigungsprogramm auf einen Kompromiss. Die Initiative stoppte ihre Kampagne und unterstützt die modifizierte Senatspolitik.

In diesem Punkt kann die SPD durchaus von den Grünen lernen, die sich selbst als „Beteiligungspartei“ verstehen. Es ist übrigens kein Zufall, dass der Architekt des Busprogramm-Kompromisses nicht der Bürgermeister war, sondern SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. Scholz hat lange den traditionellen Politikerkurs gefahren: Er ließ es beim Rückkauf der Energienetze auf einen Volksentscheid ankommen – und verlor, wenn auch knapp. Dressel steht eher für eine flexible, konsensorientierte Politik.

Rot-Grün wird eine erfolgreiche Politik für Hamburg machen, wenn das Mehrheitsinteresse der Bürger nicht aus dem Blick gerät. Einstweilen ist SPD und Grünen ein guter Start in die Verantwortung zu wünschen.