Nichts braucht der Verein im Abstiegskampf so sehr wie die Unterstützung seiner Fans. Warum aber wird jetzt noch hinter Planen trainiert?

Das sah schon ein wenig merkwürdig aus: Auf dem Boden lagen jugendliche Fans und sahen ihren Lieblingen beim Training zu, indem sie einen zentimeterkleinen Spalt zwischen Plane und Erde zum „Spionieren“ nutzten. Hin und wieder waren HSV-Anhänger zu erkennen, die sich damit beschäftigten, die weiße Kunststoffplane zur Seite zu schieben – um zu sehen, was auf dem Rasen geschieht. Einige bastelten sich auch klitzekleine Löcher, um mit einem Auge hindurchblicken zu können. Und mittendrin in diesem urigen Fan-Auflauf stand auch ein älterer Herr auf einer eigens dafür mitgebrachten Leiter. Er stand dort in luftiger Höhe und hätte all jenen, die nichts sehen konnten, weil sie nichts sehen sollten, schildern können, was gerade auf dem Rasen geschieht. HSV-Training 2015.

Spontan fiel mir ein, was der Vorstandsvorsitzende Dietmar Beiersdorfern nach dem 0:4-Debakel von Leverkusen zum Thema (auf der Leiter) „Stehen“ gesagt hatte: „Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu bitten, dass die HSV-Anhänger weiter zu ihrem Club stehen, und dass wir gemeinsam durch das Tal gehen.“

Dabei haben doch die leidgeprüften HSV-Fans seit Jahren bewiesen, dass sie mit ihrem Verein durch dick und dünn gehen. Das ist auch bestens an den Zuschauerzahlen in der Bundesliga abzulesen. Der „Dino“ aus Hamburg rangiert in der Zuschauertabelle an vierter Stelle – hinter Dortmund, dem FC Bayern und Schalke. Und in der vergangenen Spielzeit, die bekanntlich auf dem Relegationsplatz endete, lag der HSV an fünfter Stelle – dazwischen hatte sich nur Mönchengladbach mit 3000 Zuschauern mehr geschoben.

Nein, es spricht auch für die Treue der HSV-Anhänger, dass sie sich den Gang in den Volkspark immer wieder und wieder antun, obwohl der Fußball oftmals nicht mehr viel mit Erster Bundesliga zu tun hat. Und dass etliche Fans auch an den Trainingstagen rund um die Sportplätze neben dem Stadion zu finden sind, das spricht doch Bände. Und zeugt immer noch von einer großen Liebe zum HSV.

Warum dann aber (immer mal wieder) hinter zwei Meter hohen Planen trainiert werden muss, erscheint mir rätselhaft. Erstens wird dort nicht anders trainiert als bei jedem anderen Verein, zweitens werden die Spieler während der Übungen weder belästigt noch beleidigt, und zudem werden, das kommt erschwerend hinzu, kaum einmal geheime Dinge wie Eckbälle oder Freistöße einstudiert. Wenn dem so wäre, dann hätten wohl viele Verständnis für ein Geheimtraining, aber solche Standardübungen waren in den vergangenen Jahrzehnten Raritäten. Und dass der HSV auch ansonsten den Fußball nicht neu erfunden hat, dass sich die Konkurrenz also nichts abschauen kann, das hat sich sicherlich schon im Lande herumgesprochen. Eher wird nach „Schema F“ trainiert.

Wenn dann bei einem Abschlussspielchen aber tatsächlich einmal ein besonderes Tor erzielt wird, dann gibt es sogar Beifall von den Kiebitzen im Volkspark. Und dieser Applaus dürfte doch eine eher aufbauende Wirkung für einen Profi haben, der in diesen Wochen wohl häufiger damit leben muss, dass seine fußballerischen Fähigkeiten arg in Zweifel gezogen werden.

Die HSV-Spieler sind in den vergangenen Jahren mehr und mehr in Watte gelegt und viel zu sehr „gepampert“ worden. Natürlich ist ein geheimes Training gelegentlich angebracht, gar keine Frage, aber in diesen schweren Tagen müsste es doch vor allem heißen: Enger zusammenrücken! Sich jetzt von den Anhängern entfernen wäre nur noch kontraproduktiv. Wo doch Dietmar Beiersdorfer so sehr auf die Unterstützung des zwölften Mannes hofft. Gemeinsam sind wir stark, das sollte jetzt das HSV-Motto sein.

Und ich habe es seit Jahr und Tag nicht mehr erlebt, dass HSV-Spieler beim Gang in die Kabinen „angepflaumt“ worden sind. Im Gegenteil: Die meisten Fans stellen sich brav für ihr Autogramm an, oder sie bitten artig um ein Selfie. Und bei dieser Gelegenheit wünschen sie dann viel Glück für das nächste Spiel. Bestimmt auch für die Sonnabend-Partie gegen Wolfsburg.

Die HSV-Kolumne „Matz ab“ finden Sie täglich im Internet unter www.abendblatt.de/matz-ab