Trainer Peter Knäbel verhilft einem verrosteten Utensil zu neuem Glanz und lässt Freistöße üben . Warum ist darauf keiner gekommen?

Abgesehen von jenen HSV-Größen, die im Club mit der Raute immer noch eine Funktion innehaben, kenne ich aktuell keinen ehemaligen HSV-Profi, der so optimistisch ist, dass er an den Klassenerhalt des Bundesliga-Dinos glaubt. Und wenn die Verantwortlichen, die jetzt emsig arbeiten und alles geben, um den Kopf doch noch aus der Schlinge zu ziehen, wüssten, wie frühere Klasse- und Weltklassespieler die heutige Situation des HSV sowie die dazugehörige Arbeit der Führung beurteilen, sie würden die Hände über den Köpfen zusammenschlagen und damit beginnen, die Koffer zu packen. Bedauerlich nur, dass von den ganz großen HSV-Größen niemand öffentlich wagt auszusprechen, wie es im März 2015 um ihre HSV-Gefühle steht. Niemand will dem Verein ja etwas Schlechtes ...

Seit Wochen erhalte ich Anrufe von bekannten HSV-Spielern, dazu von Männern, die dem Club immer nahestanden. Sie alle sorgen sich. Sie sorgen sich sogar immens, rund um die Uhr. Und den Hamburger Medien – ganz klar, auch mir – werfen sie vor, tüchtig mit versagt zu haben. Wir seien zu unkritisch mit dem umgegangen, was sich der HSV auch in dieser Saison wieder „zurechtpolitisiert“ hat. Wir, die Medien, hätten nur zugesehen, wie sich der HSV immer weiter auf den Weg Richtung Abstiegszone gemacht hat. Statt die Finger kräftig in die Wunden zu legen, statt der Wahrheit freien Lauf zu lassen, statt zu beschreiben, wie dilettantisch sich der frühere Weltclub heute nur noch gibt.

Mag ja sein, dass daran etwas Wahres ist. Die Frage allerdings ist auch die, warum die HSV-Stars von einst nicht direkt mit den Verantwortlichen gesprochen haben? Früher hatte ihr Wort doch auch Gewicht. Warum hat sich aktuell niemand eingemischt? War es Resignation? Warum hat niemand schon lange vor dieser gefährlichen Entwicklung gewarnt? Intern, und wenn es nicht anders gegangen wäre, auch öffentlich? Außer Sport1-Mitarbeiter Stefan Schnoor hat keiner den Mund aufgemacht – nur hinter vorgehaltener Hand! Das ist zu wenig.

„Wir haben alle verloren“, hat Vereinsboss Dietmar Beiersdorfer bei seiner Entlassungsrede von Trainer Joe Zinnbauer gesagt – und damit voll ins Schwarze getroffen. Jetzt gibt Sportdirektor (Profi) Peter Knäbel den Chefcoach. Und was macht er? Er schickt die Profis ans Kopfballpendel! Richtig gelesen. Das Kopfballpendel, das unbekannte Wesen im Profifußball. Dieses Utensil aus Uwe Seelers Glanzzeiten war im Volkspark doch längst eingerostet und mit Moos überwachsen. Zudem lässt Trainer Knäbel nun auch Standards üben, weil die zuletzt nur noch schrecklich waren.

Die Frage, die sich daraus ergibt, ist die: Wieso erst jetzt? Um diese HSV-Defizite wissen alle seit Jahren, sie waren offensichtlich. Warum haben die Vereinsbosse ihren jeweiligen Trainern (zuletzt Zinnbauer) nicht kurz den Tipp gegeben, sich doch wenigstens hin und wieder darin zu versuchen, Standards zu trainieren? Warum erst jetzt? Das ist alles unfassbar amateurhaft! Standards können ganz enge und wichtige Spiele entscheiden, nur den HSV schien es bislang nicht sonderlich zu interessieren.

Um nicht missverstanden zu werden: Kopfballpendel und Freistoßtraining sind klasse. Aber hatte das zuvor niemand erkannt? Oder scheuten sich alle, Klartext zu sprechen? Seit Monaten sitzen sie in einem Boot und rudern gegen den Abstieg, aber trotzdem fand sich offensichtlich niemand bereit, gelegentlich auf den Tisch zu klopfen, um noch ein rechtzeitiges Umdenken zu erzwingen!

Ein Wort noch zu Joe Zinnbauer, der mein Mitgefühl hat. Offensichtlich wurde er von jenem Expertenstab, der so früh gelobt wurde (auch von mir!) und den er um sich herum als Hilfe wähnte, alleingelassen. Anders ist diese Entwicklung nicht zu erklären. Jetzt hoffe ich nur für Zinnbauer, dass er beim HSV bleiben wird, dass er wieder zur U23 (Regionalliga) zurückkehren darf, denn da war er gut – bis überragend. Und von solchen Männern hat der HSV gewiss nicht viele. Eine Bewertung, die für alle Bereiche gilt.

Die HSV-Kolumne „Matz ab“ finden Sie täglich im Internet unter www.abendblatt.de/matz-ab