Die Entscheidung des Olympischen Sportbundes zeigt: Deutschland ist mehr als Berlin

Die Reaktionen auf die Kür Hamburgs als deutscher Bewerber für Olympische Sommerspiele hätte unterschiedlicher nicht sein können. Während sich Hamburg stolz präsentiert, regieren in Berlin Unverständnis und Wut. „Also Boston“, ätzt die Boulevardzeitung „BZ“. „Der Tagesspiegel“ konstatiert: „Im Westen nichts Neues.“ Da spielt verständliche Enttäuschung herein. Diese speist sich aber nicht allein aus der Niederlage, sondern auch aus der Überraschung, als Hauptstadt der nächstgrößten Metropole den Vortritt lassen zu müssen. Dieses Gefühl kannte man in Berlin kaum noch. Ob der Empfang der Fußball-Nationalmannschaft oder das DFB-Pokalendspiel, ob Medienfirmen oder Künstler, ob Stiftungen oder Behörden – sie alle zogen nach Berlin. Das ist eine normale wie logische Entwicklung einer Hauptstadt, die nach dem Mauerfall vor 25 Jahren endlich wieder Kapitale sein durfte. Es sei ihr gegönnt!

Zugleich aber gilt: Deutschland ist eben nicht Frankreich oder Großbritannien. In seiner Geschichte war das Land stets auf mehrere, mitunter wechselnde Metropolen ausgerichtet. Lange galten Köln und Prag als größte deutsche Städte – jeweils bezogen auf die damals gültigen Grenzen – , dann war es über lange Zeit Wien. Im Jahre 1700 lag Berlin gerade auf Rang zwölf; Hamburg hingegen war schon damals zweitgrößte Stadt Deutschlands.

Berlins Aufstieg zum Zentrum der Nation währte nur wenige Jahrzehnte und wurde durch den Zweiten Weltkrieg jäh gestoppt. Der Föderalismus der Bundesrepublik, der nach 1945 Deutschland verordnet wurde, hat dem Land gutgetan. Denn die Unterschiede zwischen Holsteinern und Bajuwaren, zwischen Brandenburgern und Rheinländern sind beträchtlich. Diese Differenzen haben nicht nur eine vielseitige Kulturlandschaft geprägt, sie haben auch einen Wettbewerb in Deutschland begründet. Jedes Bundesland, jede Metropole hat die Chance, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen und diese zu entwickeln.

München ist ein besonderes Beispiel für eine erfolgreiche Entwicklung. Die bayerische Hauptstadt hatte bis nach 1945 nur die Hälfte der Einwohner Hamburgs und spielte eher in der Liga von Köln oder Leipzig. Den Aufstieg zur Weltstadt ebneten 1972 auch die Olympischen Sommerspiele. Entsprechend klug ist die Entscheidung, das Wagnis Olympia in eine andere Stadt als Berlin zu vergeben.

Deutschland ist mehr als seine Hauptstadt, das Land hat bunte Metropolen, die in verschiedenen Disziplinen führend sind. Das äußert sich auch in Umfragen. Westdeutsche etwa favorisierten bei der Frage nach Olympischen Spielen zuletzt Hamburg vor Berlin – man kann davon ausgehen, dass es weniger die Liebe zur spröden Schönen im Norden war als vielmehr ein in der Republik weit verbreitetes Gefühl: Es muss nicht immer Berlin sein. Hin und wieder sollten andere Metropolen an die Reihe kommen.

Das Signal der Sportpolitik ist ein gutes für Deutschland: Es geht um Inhalte und Visionen, nicht nur um Namen und Geschichte. Der Hauptstadtbonus wiegt schwer, aber darf nicht entscheiden. Wer sich anstrengt und gut ist, bekommt seine Chancen.

Genau dieser Wettbewerb ist es, der am Ende auch Berlin nützt. Ole von Beust als Neu-Berliner sagte gestern, die Hauptstadt werde nun gezwungen, über sich selbst nachzudenken, wo sie steht, wo sie hin will. Auch wenn die Hamburger sich nicht zu Besserwissern aufschwingen sollten: Sich auf dem Hauptstadtbonus auszuruhen ist zu wenig. Die Stadt hat enorme Chancen, die Berliner – wie es die Band Wir sind Helden wunderbar besingt – „müssen nur wollen“. Auch das wäre übrigens gut fürs Land.