Die Gemeinschaftswährung fällt und fällt – die Notenbank spielt mit dem Feuer

Früher bekam Otto Normalverbraucher Währungsschwankungen nur im Kursteil der Zeitung mit. Die Bewegungen waren meist minimal, nur über einen längeren Zeitraum ließen sich Trends ausmachen. Wechselkurse ähnelten ein wenig Wanderdünen, sie bewegten sich langsam, aber entfalteten mitunter trotzdem eine zerstörerische Wirkung. Sich ihnen entgegenzustellen war wirkungslos.

Inzwischen sind die Währungsschwankungen nicht mehr zu übersehen – sie sind ablesbar an der Zapfsäule, beim Kaffeepreis im Supermarkt, bei der Buchung einer Reise. In einem atemberaubenden Tempo fällt der Kurs des Euro von Tag zu Tag, derzeit fast um einen Cent pro Tag. Die Gemeinschaftswährung, die noch vor einem Jahr zu 1,40 Dollar gehandelt wurde, notierte gestern vorübergehend unter 1,05 Dollar. Der Euro trudelt der Parität entgegen. Die Wanderdünen sind schneller geworden, ihre Zerstörungskraft ist noch gewachsen.

Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen: Der Kurs von 1:1 zum Greenback ist nur noch eine Frage von Wochen. Denn die Euro-Schwäche ist das erklärte Ziel der Europäischen Zentralbank. Mit dem billionenschweren Anleihenkaufprogramm drückt die Notenbank den Wert der Gemeinschaftswährung, um auf der einen Seite die Wirtschaft anzukurbeln und auf der anderen Seite das Horrorszenario einer Deflation, also fallender Preise, zu verhindern.

Kurzfristig mag das Vorgehen plausibel sein: Die Not leidenden Volkswirtschaften gerade in Südeuropa profitieren vom schwachen Euro – ihre Produkte werden auf dem Weltmarkt günstiger, der Außenhandel wächst, der Tourismus verbilligt sich für Reisende aus Nicht-EU-Ländern. Auch die deutsche Exportwirtschaft erfreut sich einer wachsenden Nachfrage und eilt von Rekord zu Rekord. Die Chemie- oder Automobilindustrie genießt den Rückenwind aus Frankfurt. Weil sich zugleich Importe verteuern, steigen europaweit die Preise. Auch das ist gewünscht. Ist die Kritik an der Weichwährung also nur eine Macke der Deutschen, die sich noch immer zur harten Mark zurücksehnen?

Nein, leider nicht. Die Politik der Notenbank wirkt wie Dauerdoping und kann fatale Folgen haben. Dazu reicht ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte: Deutschland ist Exportweltmeister geworden, obwohl es über Jahre eine Währung hatte, die aufwertete. Der Druck der starken Mark zwang die deutsche Wirtschaft, besser, hochwertiger, innovativer zu werden. Italien hingegen, einstmals ein stolzes Indus­trieland, stagnierte und verfiel: Zu viele Unternehmen begnügten sich damit, allein über den Preis zu konkurrieren. Die größte Innovation blieb der fallende Kurs der Lire. Seit der Jahrtausendwende ist die italienische Wirtschaft nicht mehr gewachsen.

Genau diese italienischen Verhältnisse drohen nun ganz Europa. Statt Strukturreformen voranzutreiben, erfreut man sich des Währungsdopings, statt Innovation zu wagen, setzt man auf den Preis. Diese Medizin wirkt kurzfristig positiv, langfristig verheerend. Sie schwächt einen Kontinent, der ohnehin arm an Investitionen, Wagemut und Nachwuchs ist.

Und damit nicht genug: Die gezielte Euro-Schwächung kann rasch zu einem Währungskrieg eskalieren. Wenn der zweitgrößte Wirtschaftsraum der Welt sich über den Wechselkurs Preisvorteile verschaffen will, müssen die anderen Nationen handeln. Sie werden ihre eigene Währung zu schwächen versuchen oder mit Einfuhrbeschränkungen auf das Dumping made in Europa reagieren. Beides sind Szenarien, die am Ende nur Verlierer zurücklassen werden.

Der trudelnde Euro ist mittelfristig kein Grund zur Freude, sondern Anlass zu größter Sorge.