Europa mangelt es nicht an billigem Geld, Europa mangelt es an Mut und Fortschrittsgeist. Die Europäische Zentralbank (EZB) flutet die Eurozone durch das Instrument des Anleihenkaufs in einer Zeit mit Geld, in der die Leitzinsen ohnehin bereits bei nahe Null stehen, in der ein drastisch gesunkener Ölpreis dazu beiträgt, die Energierechnungen der privaten Haushalte, der Wirtschaft und der öffentlichen Hand zu senken. Die EZB stützt damit kurzfristig speziell die überschuldeten und wirtschaftlich schwachen Südstaaten in der Europäischen Union genau zu jener Zeit, in der sich Griechenland nach jahrelangen internationalen Hilfsprogrammen als bankrott erweist.
Die radikale Ausweitung der Geldmenge zur Bekämpfung einer Wirtschaftskrise hat ein Vorbild. Ben Bernanke, der damalige Präsident der US-Notenbank Federal Reserve, setzte das Instrument in den Jahren nach 2008 ein, um einen Absturz der US-Wirtschaft in den Folgen der Weltfinanzmarktkrise zu verhindern. In Europa war das damals undenkbar. Die EU-Staaten versuchten es stattdessen mit „Rettungsschirmen“, die allerdings von den Staaten mit Kapital und politischem Gewicht hinterlegt wurden. Jetzt öffnet die EZB die Geldschleusen – auch deshalb, weil sie ein anderes Instrument nach mehreren Senkungen der Leitzinsen nicht mehr hat.
Aus vielen Gründen ist das hoch gefährlich. Was passiert, wenn auch dieses Mittel nicht greift, um die Wirtschaft der Europäischen Union wieder in möglichst vielen Mitgliedsstaaten in Gang zu bringen? Wann und unter welchen Umständen will die EZB das enorme Volumen von Staatsanleihen – bis zu 1100 Milliarden Euro umfasst das aktuelle Programm der Zentralbank – wieder an den Markt bringen? Darauf gibt es keine Antworten. Auch die US-Notenbank Fed war bislang nicht erfolgreich bei dem Versuch, ihre Anleihenbestände wieder an den Markt zurück zu geben.
Die Geldflut der EZB ist das Eingeständnis. dass viele Staaten der Eurozone wirtschaftlich zu ausgelaugt sind, um selbst die nötigen Impulse für Wachstum und Fortschritt zu entwickeln. Was eigentlich hat Griechenland in den vergangenen Jahren getan? Die neue Linksregierung in Athen gefällt sich mit dem Stopp von Privatisierungen und mit der Einstellung zahlreicher Staatsbediensteter. Nicht solche Maßnahmen allerdings braucht die griechische Wirtschaft, sondern ein starkes Unternehmertum. Und das wird dort gerade wieder mit aller Macht blockiert. Auch beim Entrichten ihrer Steuern haben viele Griechen zuletzt wohl keine Fortschritte erzielt.
Und was geschieht in Frankreich? Die Wirtschaft dümpelt vor sich hin, die Arbeitslosigkeit ist hoch, der Staat überschuldet – Frankreichs Präsident François Hollande hat nicht die politische Kraft für Reformen. Ohne Frankreich aber geht nichts in Europa.
Vielleicht mangelt es in der EU an Wahrhaftigkeit. Umgeben von einer Welt in Aufruhr, ist Europa bislang noch ein Kontinent von Stabilität und Wohlstand. Doch diesen Platz an der Sonne müssen sich die Mitgliedsstaaten immer wieder selbst erarbeiten. Die aggressive Haltung der neuen griechischen Regierung gegenüber der EU nach Jahren der Solidarität ist deshalb dreist und unangemessen.
Die Strategie des neuen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker hingegen ist richtig. Ein gemeinsames Investitionsprogramm könnte in der EU Hunderttausende neue Arbeitsplätze schaffen: mit dem Neubau von Straßen, Schienen, Internetverbindungen, grenzüberschreitenden Energienetzen, mit der Stärkung der gemeinsamen Forschung. Europa braucht den Willen zur Modernisierung – keineswegs aber noch mehr billiges Geld.