Es gibt gute Gründe für eine Fußball-Weltmeisterschaft im November. Die Bundesliga wird das wuppen – für Fans wird die Glühwein-WM speziell.

Hamburg. Man kann jetzt das große Wehklagen anstimmen: Eine Fußball-Weltmeisterschaft im Winter, im November und Dezember 2022 im Wüstenstaat Katar – das ist eine Frechheit sondergleichen, die uns der Weltverband Fifa da eingebrockt hat. Alles muss umgestellt werden: die Terminkalender in Bundesliga und Champions League, die Trainingspläne der Profis, die Fan-Partys und Fanmeilen auf dem Hamburger Heiligengeistfeld, am Brandenburger Tor in Berlin, die Sehgewohnheiten der Fußballfans in ganz Europa. Ja, so ist das. Und alles nur, weil man bei Temperaturen von über 40 Grad im katarischen Sommer keine WM spielen sollte.

Warum, in Teufels Namen, vergibt man überhaupt das kommerziell am besten durchgetaktete Sportereignis der Welt in eine Wüsten-Einöde?

Man darf das auch mal von einer anderen Seite betrachten. Mit der Weiterentwicklung der WM hat man in den vergangenen Jahren reichlich Erfahrungen gesammelt. In zwei Ländern wurde ein Turnier veranstaltet, 2002 in Japan und Südkorea, bei schwül-hitzigen Temperaturen. Die deutsche Nationalmannschaft kam ins Finale, es gewann Brasilien. Die Spiele fanden zur Mitteleuropäischen Sommerzeit (MESZ) am Morgen oder mittags, bestenfalls nachmittags statt.

Die WM 2014 war ebenfalls eine heiße Sache, auch wenn sie im brasilianischen Winter stattfand, aber sogar in Äquatornähe gespielt wurde. Durch die Turniere in Deutschland 2006 (“Sommermärchen“) und Südafrika 2010 (praktisch dieselbe Zeitzone) sind wir verwöhnt. Wir sind gesetzt und unbeweglich geworden in unserer Fan-Bräsigkeit. In früheren Jahren wurden Turniere in der Fußball-Diaspora USA bestritten, davor in Ländern Südamerikas, deren Infrastruktur, Klima und politische Führung auch nichts Großes versprachen. Man kann Katar 2022 deshalb auch als Abenteuer begreifen.

Dass sich die Bundesliga darauf vorbereiten kann – geschenkt. Deutsche Organisationskunst und Logistik werden mit Recht gerühmt. Die Spieler dürften maulen, aber sie werden fürstlich entlohnt, sie müssten auch bei Regen auf dem Mars spielen. Oder, wie sagte Sepp Herberger 1954 vor dem WM-Finale über den prasselnden Niederschlag in Bern, die Platzverhältnisse und seinen Kapitän Fritz Walter? „Das isch dem Fritz sei Wedder.“

Schon 2018 in Russland wird vermutlich ausschließlich auf Kunstrasen gekickt. Darauf muss man sich mindestens eine Saison lang vorher einstellen. Der Ball rollt anders, die Laufbewegungen werden sich anpassen müssen, das Zweikampfverhalten. Profisportler schaffen solche Umstellungen. Auch ihre Trainer sind dazu in der Lage. Deutschland hat sich seinen Vorsprung durch Technik erarbeitet.

Und bitte nicht über das Geschacher bei der Fifa jammern: Die Scheichs in Katar haben sich die WM genauso mit Recht an Land gezogen wie Deutschland das Turnier 2006, Südafrika 2010, die Brasilianer 2014 und Russland 2018. Müsste man nicht eher politische Bedenken haben bei Russland, das derzeit gewalttätige Separatisten in der Ukraine unterstützt und die Lunte an ein Pulverfass legt? Hat schon mal jemand verlangt, Wladimir Putins Reich die WM 2018 zu entziehen? Was wäre das erst für eine Diskussion! Da sind die Stechmücken im sibirischen Sommer gar kein Thema mehr.

Sicher, eine WM, die im deutschen Sommer zu bekannten Tages- und Nachtzeiten angeschaut werden kann, entfaltet eine volkswirtschaftliche Dynamik, die ohnegleichen ist. Zuletzt stieg sogar wieder der bröckelnde Bierabsatz, versammelten sich Hunderttausende zum öffentlichen Public Viewing, war die WM ein Boomfaktor. Wie das im November wäre, wissen wir nicht. Aber mindestens für die Fans, die hinfliegen, wird es ein einzigartiges Erlebnis. Da muss der Jahresurlaub mal anders geplant werden. Der arabische Golf im November ist ein tolles Reiseziel.

Die Kataris werden staunen über die bunte Fanschar, die aus aller Welt dort einfällt. Eine WM tut mehr für die Völkerverständigung als zigtausend Freitagsgebete oder Sonntagsreden. Sport und Fairness werden, der Globalisierung sei Dank, überall verstanden, Fußball hat eine Sprache und Riten entwickelt, die zwar Klischees hervorbringt, aber alle nationalen Stereotypen zu überwinden vermag.

Kalender wurden schon häufiger umgestellt, der julianische auf den gregorianischen 1582, die Winter- auf die Sommerzeit, das Jahr des Bären auf das Jahr der Ziege. Nehmen wir also die Herausforderung Katar im November/Dezember 2022 einfach an! Es wird für uns Deutsche die erste Glühwein-WM.