Ein Schuldenerlass würde ihre grundsätzliche Krise nicht beenden. Zuviel Geld fließt in den Konsum statt in nötige Investitionen
Im griechischen Wahlkampf hatte das Wahlbündnis Syriza einen sofortigen Reformstopp versprochen und stattdessen gefordert, dass die ausländischen Gläubiger dem griechischen Staat erneut einen Teil seiner Schulden erlassen. Damit hat Syriza die Wahlen gewonnen. Beides will die neue Syriza-Regierung unter Premierminister Alexis Tsipras und seinem Finanzminister Varoufakis jetzt nassforsch umsetzen. Auch im übrigen Europa halten viele einen Schuldenschnitt für unverzichtbar, um die griechischen Probleme endlich zu lösen. Wäre das wirklich der Schlüssel zum Erfolg? Leider nein. Bereits der erste Schuldenschnitt von 2012 verschaffte nur kurze Entlastung. Selbst ein kompletter Erlass der Staatsschulden könnte die tiefer liegenden Ursachen der griechischen Misere nicht beseitigen. Das liegt am Investitionsverhalten der Unternehmen und am Konsumverhalten der Bürger. Auf beiden Gebieten ist die Lage fürchterlich:
Damit eine Volkswirtschaft nicht verarmt, müssen die Unternehmen in den sogenannten Kapitalstock investieren: Sie müssen ihre Produktionsanlagen zumindest in Schuss halten, also kaputte Maschinen reparieren und irreparable durch neue ersetzen. Wenn möglich, sollten sie ihre Produktionsanlagen fortwährend modernisieren und ausbauen. Solche kapazitätssteigernden Investitionen finden in Griechenland schon seit 2011 nicht mehr statt. Schlimmer noch: Nicht einmal das In-Schuss-Halten klappt noch; kaputte Maschinen werden nicht repariert und irreparable werden nicht durch neue ersetzt. Dadurch schrumpft und veraltet der Kapitalstock immer mehr. 2011 ging er um zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurück, 2012 um sechs, 2013 um elf und im ersten Halbjahr 2014 um weitere zwölf Prozent. Die griechische Wirtschaft verfällt.
Zwangsläufige Folge der fehlenden Investitionen: Es wird immer weniger produziert. Gegenüber 2008 ist das Bruttoinlandsprodukt – der Wert aller produzierten Güter – um 25 Prozent eingebrochen.
Mindestens genauso alarmierend ist das Konsumverhalten. Bereits seit 2002 konsumiert die griechische Bevölkerung mehr, als sie an verfügbarem Einkommen hat. Mit anderen Worten: Die Konsumquote liegt konsequent über der kritischen 100-Prozent-Schwelle. 2014 ist sie sogar auf den Rekordwert von 121 Prozent gestiegen. Dies ist der höchste Wert aller Zeiten (und mit Abstand der höchste aller Euro-Staaten). Die Griechen leben also mehr über ihre Verhältnisse denn je.
Damit Griechenland wieder auf die Beine kommt, müssten die Griechen erstens ihren Konsum drastisch einschränken. Hierfür gibt es keine Anzeichen. Zweitens müssten die Unternehmen wieder investieren. Auch dafür gibt es keine Anzeichen.
Warum wird nicht investiert? Zum einen ist dies die Kehrseite der hohen Konsumquote: Geld kann man nur einmal ausgeben. Je mehr in einer Volkswirtschaft für Konsum aufgewendet wird, desto weniger steht für Investitionen zur Verfügung. Griechenland ist dafür ein Extrembeispiel.
Zum anderen ist Griechenland als Produktionsstandort nach wie vor auf den Weltmärkten nicht wettbewerbsfähig. Denn Überregulierung und Bürokratie grassieren noch immer. Auch die Löhne sind noch immer zu hoch. Sie müssten laut EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds um mindestens zehn Prozent sinken, damit griechische Unternehmen nicht mehr teurer produzieren als ihre Konkurrenten in anderen Ländern. Kein Unternehmen investiert in Griechenland, solange dort hergestellte Güter nicht wettbewerbsfähig, weil zu teuer sind.
Nötig wäre also: Konsum runter, Wettbewerbsfähigkeit rauf. Das geht nicht ohne weitere grundlegende Reformen. Ein Schuldenschnitt kann diese nicht ersetzen.
Die nassforschen Äußerungen von Tsipras und Varoufakis können darüber nicht hinwegtäuschen. Indessen scheint man in Brüssel wieder bereit, erneut nachzugeben und den Griechen zu gestatten, das – ohnehin unzureichende – Reformtempo weiter abzusenken. Damit wird die Gesundung der griechischen Volkswirtschaft nur noch weiter verzögert und Griechenland immer mehr zu einem Dauerempfänger nordeuropäischer Hilfsgelder – finanziert vom hiesigen Steuerzahler.