Für einige linke Störer endet die Meinungsfreiheit offenbar im Schanzenviertel
Es ist erst wenige Tage her, da waren wir alle Charlie. Zeigten unsere Solidarität mit den Opfern der Terroranschläge von Paris und mit dem Satiremagazin „Charlie Hebdo“. Millionen Menschen gingen in Frankreich in einem bewegenden Marsch auf die Straße, in Deutschland waren es Zehntausende. Nicht jeder tat das, weil er die im französischen Satiremagazin abgedruckten Mohammed-Karikaturen besonders geschmackvoll oder angemessen fand. Aber sie bekannten sich mit diesem starken Signal zur Meinungs- und Pressefreiheit – einem hohen Gut, das wir unter allen Umständen verteidigen sollten.
Die Gruppe von Störern, die am Dienstagabend die Diskussionsrunde der linken Tageszeitung „taz“ zur Flüchtlingspolitik aufmischte, lautstark skandierte und die zur Debatte versammelten Bürgerschafts-Spitzenkandidaten gar nicht erst zu Wort kommen ließ, ist offenbar der Ansicht, dass die Meinungsfreiheit, die in Frankreich hochgehalten wird, im Hamburger Schanzenviertel endet.
Es war nicht unbedingt eine Glanzstunde, als der Gesprächsleiter der „taz“ die Zuschauer allen Ernstes darüber abstimmen ließ, ob die Veranstaltung fortgesetzt werden sollte. Als sich eine Mehrheit dagegen entschied, war die Debatte beendet, bevor sie überhaupt angefangen hatte. Damit hatten sich die Störer durchgesetzt. Dieser Abend im alternativen Haus 73 am Schulterblatt – er ist ein Tiefpunkt der demokratischen Auseinandersetzung in der Hansestadt.
Die Flüchtlingsfrage, um die es an diesem Abend eigentlich gehen sollte, bewegt uns alle. Man kann über die Forderung linker Gruppen nach einem bedingungslosen Bleiberecht für alle diskutieren. Aber man muss es eben auch tun, anstatt alle niederzuschreien, die anderer Ansicht sein könnten. Wer sich der Debatte von vornherein verweigert, wird nichts dazulernen und kann niemanden überzeugen. Liebe Linksautonome: Meinungsfreiheit gilt nicht nur dann, wenn wir derselben Meinung sind! Sie ist ein unteilbares Gut – in Frankreich wie im Schanzenviertel.
Sehr viel toleranter geht die Stadt ihrerseits mit den Andersdenkenden um, die seit 25 Jahren nebenan in der Roten Flora ein Zentrum haben, in dem sie ihren alternativen Gesellschaftsentwürfen nachgehen und Diskussionen veranstalten können, wie sie es wollen. Der Senat hat das Gebäude erst kürzlich mit dem Geld der Steuerzahler zurückgekauft – für 820.000 Euro. Um es klar zu sagen: Das ist auch gut so.
Es ist richtig, dass die Rote Flora als alternatives Stadtteilzentrum im Schanzenviertel erhalten bleibt und nicht den überdimensionierten Neubauplänen eines Immobilien-Spekulanten weichen muss. Einen solchen Ort kann und muss sich eine Metropole wie Hamburg leisten, die sich für liberal und weltoffen hält. Allerdings sollte dieser Ort als Stadtteilzentrum dann auch noch stärker für Initiativen und Anliegen aus dem Viertel nutzbar sein als bisher.
Natürlich ist der Plan der CDU, die am Dienstag ausgefallene Diskussionsrunde in der Roten Flora ausgerechnet unter ihrer Regie nachzuholen, eine gezielte Provokation. Und klar ist das in Zeiten des Wahlkampfes auch getrieben von Populismus – ob es sich nun am Ende durchsetzen lässt oder nicht. Tatsächlich ist schwer vorstellbar, dass eine CDU-Veranstaltung in dem linksautonomen Zentrum stattfinden wird.
Dennoch haben die Christdemokraten das Recht, den Finger in die Wunde zu legen. Für die Rote Flora galten schon seit den frühen Tagen ihrer Besetzung 1989 Sonderrechte. Wenn die CDU mit ihrem Vorstoß nun eine Debatte darüber anstößt, wie und von wem dieses Zentrum genutzt werden sollte, dann ist das im Sinne einer demokratischen Diskussionskultur gut. Denn Meinungsaustausch führt eben weiter.
Die Autorin ist stellvertretende Leiterin des Hamburg-Ressorts