In Afrika wütet die Boko Haram – das geht auch uns an
Als die Welt ihre Pappschilder mit „Je suis Charlie“ in die Luft reckte, sprach kaum jemand von dem, was gerade in Nigeria passiert. Die brutale Terrorgruppe Boko Haram hatte Dörfer dem Erdboden gleichgemacht, ihre Kämpfer töteten offenbar Hunderte Zivilisten. In Europas Zeitungen, auch im Abendblatt, waren die Toten von Nigeria im Schatten der Attentate von Paris nur eine Randnotiz. Keine Demonstrationen, kein „Je suis Nigeria“. Das ist falsch – politisch und ethisch.
Terrorismus funktioniert durch den Schrecken der Nähe, das Eindringen in private Räume, in Orte der Öffentlichkeit. Durch das Auslöschen von Leben. Je näher ein Terrorakt einem Menschen kommt, desto mehr berührt er ihn. Und doch darf der Aufschrei über Paris die Wahrnehmung von Terrorismus außerhalb Europas nicht verdrängen. Eurozentrismus im Kampf gegen Militante ist der falsche Weg.
Denn Terrorgruppen wie der selbst ernannte „Islamische Staat“ und al-Qaida agieren global. Der IS handelt mit Öl, al-Qaida rekrutiert Kämpfer in Nahost und Afrika. Bei mehreren Anschlägen in Europa ist belegt, dass Attentäter Kontakt hatten zu Organisationen im arabischen Raum. Boko Haram hat sich zu Zielen von al-Qaida und IS bekannt. Das ist ein Warnsignal, denn bisher war Boko Haram wenig gelegen an internationaler Reichweite ihrer Morde, sie wütete lokal. Doch das kann sich schnell ändern. Westliche Hilfe für die ohnmächtigen Militärs im Kampf gegen die Extremisten in Nigeria muss daher verstärkt werden. Und die örtliche Regierung muss die Hilfe annehmen.
Der Westen muss Irak und Syrien, aber auch Nigeria zu Stabilität verhelfen. In der Vergangenheit wurden Fehler begangen: die Interventionen in Irak, Afghanistan oder Libyen haben keine Ruhe gebracht. Im Gegenteil. Doch der Kampf gegen Boko Haram bedarf nicht nur einer politischen Abwehrstrategie – Hilfe ist eine moralische Pflicht des Westens. Es darf keine Terroropfer zweiter Klasse geben. Ein zehn Jahre altes muslimisches Mädchen, das in Nigeria in ein Attentat geschickt wurde, dürfen wir nicht „Selbstmordattentäterin“ nennen. Es ist selbst ein Opfer.