Die Botschaft von der Menschwerdung: Mach’s wie Gott – werde Mensch
Fest der Menschwerdung Gottes. Dieser Name sagt alles über Weihnachten. Gott und Mensch, sie gehören engsten zusammen. Gott wird Mensch, und wir sehen und erfahren, wer wir sind: von Gott geliebte Kinder. Wir lernen, Mensch zu sein und zu werden.
Mit dieser Zusage grüße ich die Menschen in der Stadt und weit darüber hinaus. Seit den Anfängen um das Jahr 831 ist unser schönes und stolzes Hamburg mit der Kirche verbunden. Ansgar, ein junger Mönch von 30 Jahren, wird der erste Bischof. Heute stehen die evangelische Bischöfin und ein katholischer Bischof für die beiden großen christlichen Kirchen: in der Ökumene verbunden, einig mit den vielen anderen Christen. Und Christen üben den Dialog mit den Muslimen und anderen Religionen. Friede unter den Religionen wird bei uns eingeübt. Er muss auf der ganzen Erde selbstverständlich werden. Nur Friedensstifter können dem Namen Gottes, dem Gott der Menschen, Ehre machen.
Weihnachten umgibt uns von allen Seiten, keiner kann ihm entgehen. Ich bin als Mann der Kirche froh über so viel Bewegung und Stimmung, freue mich auch an Gedränge und Geschiebe, Gerüchen und Musik. Besonders der Großmut und die Freigebigkeit der Menschen gerade in diesen Tagen beeindrucken mich. An Weihnachten muss doch wirklich etwas dran sein! Und so erinnert der Kirchenmann sich selber und uns alle immer wieder daran: Die kunstvollen Verpackungen, das ganze aufwendige Getriebe um Weihnachten herum – all das ist wegen des Inhalts wertvoll, wegen des wunderbaren Kerns der Weihnachtsbotschaft. Ich bin überzeugt, mit diesem Kern hat jeder Mensch auf seine Weise zu tun.
Weihnachten ist das Fest, an dem wir Menschen unseren Mehrwert spüren dürfen. Ja, wir sind mehr, unendlich mehr als die Summe unserer Gene und Lebensumstände. Jeder trägt seine unverlierbare Würde in sich, einzigartig, verletzlich und doch im Letzten unverlierbar. Sie kann bei einem von uns so zugeschüttet sein, dass er sie gar nicht mehr wahrnimmt, sich überhaupt nichts mehr zutrauen möchte. Aber sie bleibt im Blick auf den ganz Anderen, auf Gott, für immer bestehen, ist garantiert für Zeit und Ewigkeit. Das macht meinen ganz eigenen Mehrwert aus.
Die alte Geschichte erzählt es: Ein helles Licht fällt auf das Kind in der Krippe. Seine Eltern, einfache Leute, müssen tun, was ein ferner Kaiser anordnet, um an sein Geld zu kommen. Im Stall bei Ochs und Esel, den unverständigen Geschöpfen, geboren, sind einfache, raue Gesellen die Ersten, die das Kind ehren. Über ihm geht der Himmel auf. Gott in der Höhe und der Mensch auf Erden, sie gehören zusammen. Jeder soll am Christuskind sehen, wer er ist, von Gott beim Namen gerufen, für immer geliebt. So rührt uns Weihnachten. Die Geschichte aus ferner Vergangenheit trifft uns, und wir spielen in ihr mit. Wir spüren Liebe und schenken sie. Wir blicken auf die Not der Welt in der Nähe und in der Ferne. Wir haben Freude am Leben, nicht zuletzt an unserem eigenen. Wir erfahren Trost und spenden ihn.
Menschwerdung Gottes, das heißt: Seien wir, werden wir Menschen, wahrhaftige Menschen, die für Gott offenstehen! Gottes Gedächtnis lebendig zu erhalten muss der wichtigste Dienst der Kirche sein. Durch ihn lebt sie, wird sie den Menschen gerecht, die nach Gott suchen und fragen. Die Kirche bildet ein weites Netz von Aktivitäten. Es tut der Gesellschaft gut, wenn die Kirche und andere Gruppen im Sinne einer vom Staat geförderten Subsidiarität Aufgaben übernehmen: in der Schule, im Sozialwesen ... Aber bei und in allem muss Gott die erste Sorge der Kirche bleiben. Wir lassen nicht ab von ihm: im Gebet, im Lob, nicht in der Not des Gebetes, angefochten und bedrängt. Gott führt uns in die Freiheit, er verurteilt jeden Zwang. Wir dürfen seinen heiligen Namen nicht für Gewalt und eigene Zwecke missbrauchen.
Menschen werden wir, wenn wir handeln. Die Weihnachtsgeschichte heute zeigt uns viel Not überall. Wir sehen die katastrophale Notlage der Flüchtlinge, der Millionen und Hunderttausenden, die aus ihrer Heimat vertrieben werden. Wie sollen wir Weihnachten feiern, ohne sie menschenwürdig und menschenfreundlich aufzunehmen? Die Kirche kann nicht die Verantwortlichen und die Fachleute ersetzen, die bei uns in Hamburg und in den anderen Bundesländern im Einsatz sind. In sehe mit hohem Respekt auf Kompetenz und ganz großen Einsatz, unterstützt durch so viele Menschen, die ihre Herzen öffnen und die Hände bereithalten.
Eine Sorge muss uns alle zutiefst bewegen. Wir können nicht schweigen, wenn in unserem Land Stimmungen gegen Fremde geschürt werden. Wir sehen nicht zu, wenn sich Protestbewegungen im Für und Wider aufschaukeln und die Menschen verwirren. Ich rufe zu Vernunft und Menschlichkeit auf. Lassen wir uns nichts einreden! Wir sind stark genug, die Flüchtlinge aufzunehmen. Wir werden Konzepte entwickeln, die notwendig sind, damit sie bei uns zu Hause sein oder nach einer Befriedung auch wieder in ihre Heimat zurückkehren können.
Werden wir Menschen! Weihnachten stellt unser Menschsein auf die Probe. Ein leidenschaftlicher Mensch – ich glaube, es war Franz Kamphaus – hat es prägnant gesagt: Mach’s wie Gott, werde Mensch!
Der Autor ist Weihbischof im Erzbistum Hamburg