Die AfD-Anzeige gegen Kampnagel ist absurd
In Elfriede Jelineks Stück „Die Schutzbefohlenen“, einer Abrechnung mit unserer Flüchtlingspolitik und unseren Versäumnissen, fällt an einer Stelle der entlarvende Satz „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen ...“ Trudelnde Menschen reden so, ängstliche Menschen, die nicht mehr wissen, was noch wirkliche Moral ist und was nur dumpf brütende Scheinheiligkeit, die es sich viel zu einfach machen mit dem Rest der Welt. Wenn eine Partei wie die AfD, in Hamburg verzweifelt auf Wählerstimmen aus allen sozialen Lagern und Stadtteilen hoffend, die Intendantin von Kampnagel bei der Justiz anschwärzt, weil sie auf ihrem Gelände eine Winterunterkunft für Flüchtlinge als Kunstprojekt ins Leben gerufen hatte, ist das sehr viel. Es ist übertrieben, absurd, berechnend, kaltherzig, erschreckend und abschreckend. Aber eines ist es garantiert nicht: anständig. Eine anständige deutsche Partei – und das wollen sie dort doch sein – tut so etwas nicht. Und das muss man auch ganz klar so sagen dürfen.
Dass ausgerechnet der frühere Innensenator Dirk Nockemann, ein früheres Mitglied der Schill-Partei, wenige Wochen vor der Bürgerschaftswahl jetzt eine weitere verbale Attacke auf die Kampnagel-Intendantin reitet und darauf anspielt, dass sie (als Frau?) noch froh sein kann, dass ihr nichts Schlimmeres passiert, passt ins Bild, das die AfD besonders gern von sich abgibt: Sie wollen die Rächer der Verunsicherten sein, die wahren Wahrer von Recht, Gesetz und Ordnung in einer Welt, die ihnen schon längst über den Kopf gewachsen ist.
In Marcus Wiebuschs Lied „Der Tag wird kommen“, seiner Abrechnung mit Homophobie im Fußball, die kürzlich als „Hamburger Song des Jahres“ ausgezeichnet wurde, heißt es an einer Stelle: „All ihr Forums-Vollschreiber, all ihr Schreibtischtäter, all ihr miesen Kleingeister mit Wachstumsschmerzen“. Das ist Kultur. Genau das. Kultur ist auch dafür da zu thematisieren, wenn etwas schiefläuft in unserer Gesellschaft. Wenn wir Haltung und Debatten benötigen. Wir alle sollten uns dafür einsetzen, dass Kunst das darf. Dass Kunst das muss. Sonst wäre sie nur Bespaßung, nur ein harmloses Irgendwie, so unwirksam und so unwichtig wie das nächstbeste niedliche Katzenvideo.