Keine Experimente: CDU hält sich auf ihrem Parteitag in Köln an das Motto Konrad Adenauers
Seit 1994 zieht die CDU gegen die „kalte Progression“ zu Felde. Rhetorisch jedenfalls. Gegen jene Erscheinung im deutschen Steuerunwesen, die unter bestimmten Umständen die Kaufkraft von Arbeitnehmern trotz Lohnerhöhung mindert. Praktisch wird sie in dieser Sache auch auf ihrem bevorstehenden Parteitag in Köln keinen Schritt weiterkommen. Trotz all der Anträge, die sich damit beschäftigen und trotz allen Drucks seitens des Wirtschaftsflügels der Partei. Den hat die Vorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel noch immer locker ausgehalten. Kein Spielraum für so etwas, assistiert ihr Fraktionschef Kauder und mit Verweis auf die „schwarze Null“ im Haushalt. Und für künftige Aufgaben wird nun auch der Soli zur Dauereinrichtung.
Dabei hat die Partei Steuererhöhungen offiziell stets ausgeschlossen. Sie führt sie stattdessen durch Unterlassung ein. Eine besonders kreative Form des Wortbruchs. Gleichzeitig werden in trauter Eintracht mit der SPD verkorkste Rentenpakete geschnürt und die Sozialkassen geplündert. Das freut vielleicht private Versicherungskonzerne, die so dank sinkenden Rentenniveaus und damit drohender Altersarmut einen Teil vom Geschäft abbekommen – zumindest von dem Teil der arbeitenden Bevölkerung, der sich Zusatzversicherungen noch leisten kann. Aber der wird in Zeiten befristeter Arbeitsverträge, Billigjobs und allgemeiner Tarifflucht der Unternehmen immer kleiner. Damit schrumpft auch die Mitte, jener Teil der Gesellschaft, deren Anwalt die CDU so gern sein möchte. Auf Bundesebene macht sich das noch nicht so dramatisch in Wahlergebnissen bemerkbar. Was vor allem der Persönlichkeit der Kanzlerin geschuldet sein dürfte. Sie hat in der Euro-Krise einen Rest Sicherheit vermittelt, agiert souverän auf allen internationalen Bühnen und kann zu Hause die Früchte einer derzeit florierenden Wirtschaft ernten.
In den Ländern dagegen – siehe Thüringen – fällt derweil eine Bastion der Union nach der anderen. Rot-Rot-Grün und der verzweifelte Versuch des dortigen CDU-Fraktionschefs Mike Mohring, einen linken Ministerpräsidenten mithilfe der AfD zu verhindern, kündigen von neuen Konstellationen und Optionen auch auf Bundesebene. Die Schwesterpartei in Bayern macht sich gleichzeitig unbeliebt mit ihrer Pkw-Maut und lächerlich mit dem Vorschlag, Migranten sollten in ihrer Wohnung gefälligst deutsch miteinander sprechen. Das tun nicht einmal die Bayern selbst.
So sicher Angela Merkel derzeit in beiden Sätteln sitzt, dem der Kanzlerin und dem der Parteichefin, so unsicher ist die Zukunft ihrer Partei. Denn eines Tages wird auch sie ihre Ämter aufgeben. Und dann? Mit welchen Themen will eine sozialdemokratisierte und verzweifelt nach so etwas wie einem Profil suchende Partei noch Wähler überzeugen, wenn das einzige Argument, die beliebte Vorsitzende, weg ist? Alle einstigen Konkurrenten und Widersacher hat Merkel längst in die Wüste geschickt. Ursula von der Leyen hat ihren Prozess der Selbstdemontage im Verteidigungsministerium längst begonnen. Thomas de Maizière ist wohl über den Zenit seiner politischen Laubahn hinaus. Und dahinter? Kein Kandidat nirgends, der sich aufdrängen würde.
Vorerst wird Merkel bei ihrer Wiederwahl zur Vorsitzenden wohl ein Rekordergebnis einfahren. Und ihre Partei wird sich im Glanz der Vorsitzenden sonnen. In Köln, der Stadt ihres Gründervaters Konrad Adenauer, wird die CDU auch auf diesem Parteitag keine Experimente wagen. Doch die Ruhe, die das vermitteln soll, ist trügerisch. Denn Reformen lassen sich nicht ewig verschieben. „Ich glaube, Gefahren lauern nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren“, hat einmal Michail Gorbatschow gesagt. Einfacher ausgedrückt: Wer zu spät kommt, den bestraft der Wähler.
Der Autor leitet das Politikressort des Hamburger Abendblatts