Es ist Zeit, dass sich was dreht: Radler bewegen die Stadt, findet Matthias Iken, stellvertretender Chefredakteuer des Hamburger Abendblatts. Kollege Stephan Steinlein hingegen ist der Ansicht, dass sich Hamburg Vorrang fürs Rad nicht leisten kann.

Muss Hamburg mehr für Radfahrer tun?

Das Pro

Liebe Autofahrer, nun wird’s ernst. Mit der Umwidmung des Harvestehuder Wegs verlässt die Fahrradförderung die Diskussionsebene der bunten Broschüren, Thesenpapiere, Anträge und wird real. Die in den vergangenen Jahrzehnten von allen Senaten stiefmütterlich behandelten Radfahrer bekommen mehr Platz. An der Alster verwandelt sich die erste Asphalttrasse in eine Fahrradstraße.

An der konkreten Entscheidung für den Harvestehuder Weg, der immerhin einen vernünftigen Radstreifen hat, mag man zweifeln, an der Gesamtstrategie nicht: Die Hansestadt muss mehr für den Fahrradverkehr tun. Und sie sollte es schnell, unbürokratisch, kostengünstig machen: Fahrradstraßen sind erste Wahl, vor allem wenn sie nach niederländischem Muster für Kraftfahrzeuge in beide Richtungen geöffnet bleiben: Sie grenzen Autofahrer nicht aus, sondern ändern nur die Spielregeln. Radler, in der Vergangenheit an den Rand gedrängte Störenfriede, genießen fortan Vorrang, Autofahrer sind zu mehr Rücksicht und weniger Tempo gezwungen. Und radelnde Kinder, die schwächsten Verkehrsteilnehmer, können weiter Fußwege benutzen. Theoretisch reichten schon ein paar Schilder und wenige Hundert Euro, um die Verkehrspolitik vom Kopf auf die Füße zu stellen, von vier auf zwei Räder.

Die Veränderung des „Modal Split“, des Anteils der Verkehrsmittel, liegt im Interesse der ganzen Stadt. Jeder, der aus der Blechkiste auf den Drahtesel umsteigt, nutzt der Allgemeinheit und sich auf vielfältige Weise: Staus werden seltener, die Straßen leiser, bieten mehr Kapazität und halten länger. Die Luft wird deutlich besser, die Belastung mit Stickoxiden, Feinstäuben und Kohlenmonoxiden sinkt. Das Verwaltungsgericht hat gerade deutlich gemacht, dass Hamburg mehr für saubere Luft tun muss. So könnte es gehen. Wer Kopenhagen, Amsterdam oder Münster kennt, weiß um den besonderen Reiz der Fahrradstädte: Sie entfalten mehr Flair, erscheinen grüner und lässiger, entschleunigter und großzügiger.

Gesund ist das Radeln auch. Man muss nicht jeder Studie vertrauen, aber die Richtung stimmt. Radler stärken Herz, Kreislauf, Muskeln. Wer täglich 15 Kilometer fährt, lebt holländischen Wissenschaftlern zufolge 14 Monate länger. Österreichische Forscher haben einen gesundheitlichen Einspareffekt von fast 90 Cent pro Radkilometer ermittelt.

Das alte Gegeneinander von Autolobby und Ökos, als in Sitzen und Sätteln noch Ideologen saßen, sollte überwunden sein: Fast jeder Radler ist irgendwann Autofahrer – und umgekehrt. Ein behutsames Umlenken nützt allen.

Das Contra

Was Hamburg seit nun schon einigen Monaten unter dem Deckmantel der Fahrradförderung macht, passt nicht zu dieser Stadt. Zentrale Routen in Fahrradstraßen umzuwandeln, auf denen Autofahrer bestenfalls noch geduldet werden – das kann beispielsweise der Stadtrat von Stade gern tun, der Senat der Hansestadt Hamburg sollte es besser lassen.

Wohl kaum eine andere Stadt in Deutschland ist so sehr auf einen funktionierenden (Wirtschafts-)Verkehr angewiesen wie Hamburg. Die Stadt verhält sich aber so, als gäbe es nichts Wichtigeres, als den Fahrradverkehr auf Kosten der Autofahrer anzukurbeln.

Rad fahren macht Spaß, hält gesund, und ökologisch betrachtet, gibt es auch kein besseres Verkehrsmittel. Das Rad kann das Auto ergänzen – ersetzen kann es es aber nicht. Sicherlich wäre es toll, wenn der Fahrradverkehr weiter ausgebaut werden könnte, ohne Straßen für Autos massiv zu verengen oder Fußgängern Platz wegzunehmen. Und überall dort, wo das möglich und sinnvoll ist, sollte Hamburg den Umbau auch einleiten. Aber auf vielen Straßen ist der Konflikt unauflösbar – mangels Platzes. Sie sind einfach zu eng, um allen Anforderungen gerecht zu werden. Und dann gibt es noch solche Straßen wie die an der Alster, wo der Ausbau zu Fahrradstraßen komplett überflüssig erscheint.

Es dürfte kaum einen Radweg geben, auf dem es mehr Spaß macht zu fahren als auf der Route am Harvestehuder Weg. Etwa zwei Meter breit, abgetrennt von Straße und Fußweg, in einem guten Zustand – und gratis dazu gibt es den wunderbaren Blick auf die Alster. Warum nun ausgerechnet diese Straße in einen Verkehrsweg mit Vorrang für Radfahrer umgebaut wird, erschließt sich selbst denwohlmeinendsten Radfreunden kaum noch. Sollte der bestehende Radweg tatsächlich zu schmal sein – warum wird er dann nicht einfach ausgebaut?

Es scheint, als wolle die Landesregierung mit Macht wankelmütige Grünen-Sympathisanten überzeugen, am 15. Februar kommenden Jahres doch bitte SPD zu wählen. Geht diese Strategie auf, dann bleibt nur zu gratulieren.

Doch was, wenn Autofahrer zunehmend genervt von Busbeschleunigungsprogrammen, Dauerstau und Konflikten mit Radfahrern diese sozialdemokratische Strategie wenig überzeugend finden? Wenn überzeugte Radfahrer dann doch lieber das grüne Original wählen statt die rote Kopie? Dann werden sich die Sozialdemokraten wohl mit dem Vorwurf auseinandersetzen müssen, in einer Sackgasse gelandet zu sein.