Liebe Autofahrer, nun wird’s ernst. Mit der Umwidmung des Harvestehuder Wegs verlässt die Fahrradförderung die Diskussionsebene der bunten Broschüren, Thesenpapiere, Anträge und wird real. Die in den vergangenen Jahrzehnten von allen Senaten stiefmütterlich behandelten Radfahrer bekommen mehr Platz. An der Alster verwandelt sich die erste Asphalttrasse in eine Fahrradstraße.
An der konkreten Entscheidung für den Harvestehuder Weg, der immerhin einen vernünftigen Radstreifen hat, mag man zweifeln, an der Gesamtstrategie nicht: Die Hansestadt muss mehr für den Fahrradverkehr tun. Und sie sollte es schnell, unbürokratisch, kostengünstig machen: Fahrradstraßen sind erste Wahl, vor allem wenn sie nach niederländischem Muster für Kraftfahrzeuge in beide Richtungen geöffnet bleiben: Sie grenzen Autofahrer nicht aus, sondern ändern nur die Spielregeln. Radler, in der Vergangenheit an den Rand gedrängte Störenfriede, genießen fortan Vorrang, Autofahrer sind zu mehr Rücksicht und weniger Tempo gezwungen. Und radelnde Kinder, die schwächsten Verkehrsteilnehmer, können weiter Fußwege benutzen. Theoretisch reichten schon ein paar Schilder und wenige Hundert Euro, um die Verkehrspolitik vom Kopf auf die Füße zu stellen, von vier auf zwei Räder.
Die Veränderung des „Modal Split“, des Anteils der Verkehrsmittel, liegt im Interesse der ganzen Stadt. Jeder, der aus der Blechkiste auf den Drahtesel umsteigt, nutzt der Allgemeinheit und sich auf vielfältige Weise: Staus werden seltener, die Straßen leiser, bieten mehr Kapazität und halten länger. Die Luft wird deutlich besser, die Belastung mit Stickoxiden, Feinstäuben und Kohlenmonoxiden sinkt. Das Verwaltungsgericht hat gerade deutlich gemacht, dass Hamburg mehr für saubere Luft tun muss. So könnte es gehen. Wer Kopenhagen, Amsterdam oder Münster kennt, weiß um den besonderen Reiz der Fahrradstädte: Sie entfalten mehr Flair, erscheinen grüner und lässiger, entschleunigter und großzügiger.
Gesund ist das Radeln auch. Man muss nicht jeder Studie vertrauen, aber die Richtung stimmt. Radler stärken Herz, Kreislauf, Muskeln. Wer täglich 15 Kilometer fährt, lebt holländischen Wissenschaftlern zufolge 14 Monate länger. Österreichische Forscher haben einen gesundheitlichen Einspareffekt von fast 90 Cent pro Radkilometer ermittelt.
Das alte Gegeneinander von Autolobby und Ökos, als in Sitzen und Sätteln noch Ideologen saßen, sollte überwunden sein: Fast jeder Radler ist irgendwann Autofahrer – und umgekehrt. Ein behutsames Umlenken nützt allen.