Dennoch wirbt die Stadt an prominenter Stelle auf dem Flughafen ausschließlich mit der Fließbandproduktion „König der Löwen“
Landet man auf dem Salzburger Flughafen, wird man von Werbung für die Salzburger Festspiele begrüßt. In Zürich hängen die Terminalwände voller Luxusuhren-Anzeigen. Jeder präsentiert gut sichtbar, worauf er besonders stolz ist. In Hamburg jedoch tickt man anders an den entscheidenden Stellen.
Nur zur Erinnerung: Diese Stadt hat eine überwältigend große Tradition als Musikstadt. Sie verfügt über drei Staatstheater mit enormer Tradition, eines ist die größte deutsche Sprechbühne und hat mit Karin Beier eine Intendantin, um deren Verpflichtung das Schauspielhaus bundesweit beneidet wurde. Die Staatsoper hat in wenigen Monaten mit Kent Nagano einen international renommierten Dirigenten als Generalmusikdirektor. Das NDR Sinfonieorchester hält mit Chefdirigent Thomas Hengelbrock dagegen. Es gibt Museen, die seit Jahren versuchen, mit einer „Museumsmeile“ auf sich aufmerksam zu machen. Es gibt, weltweit einzigartig, die Reeperbahn mit der Clubszene. Und Kampnagel.
Und die Privattheater. Und dann wäre da ja auch noch eine nicht ganz unbekannte Konzerthaus-Baustelle. Mit einem Satz: Es gäbe eine Menge zum Vorzeigen. Doch wer vom Hamburger Flughafen aus mit der S-Bahn in die Stadt startet, findet am Bahnsteig ein Plakat mit einem Motiv aus dem Musical „König der Löwen“, darunter steht im städtischen Rot-Blau-Markendesign „Bühne frei für große Kultur!“ Das ist kein Witz. Und auch keine Fälschung von „Not in our name, Marke Hamburg!“– Kulturaktivisten, die sich vor städtische PR-Karren gespannt fühlen und damit ironisch Einspruch einlegen. Die meinen das ernst, die von der Stadt.
Dass Hamburg, dem offiziellen Selbstverständnis nach eine vielfältige Kulturmetropole, seine Gäste am Flughafen ausgerechnet so begrüßt, ist kein Zufall. Dahinter steckt System. Seit Jahren schwören die Verantwortlichen bei Hamburg Marketing und Tourismus auf die Methode, Stärken noch stärker zu stärken. Von den Großen lernen, mit ihnen kassieren. Warum auch nicht, könnte man entgegnen. Hat sich bewährt. Macht sich bezahlt. Hafen, Shopping, Reeperbahn, Neumeiers Ballett, pulsierende Metropole, lebenswerte Stadt, Kreuzfahrtschiffe und: Musical-Hauptstadt. All diese Zutaten kommen auch im neuen Hamburg-Marketingfilm „Die Hälfte von Zwei“ vor, in dem Denyo von der Hip-Hop-Combo Beginner eine Lobeshymne rezitiert, die an den Text zum Klassiker „City Blues“ erinnert. Image-Darwinismus könnte man diese Werbephilosophie nennen. Statt Überleben des Tüchtigsten wird nur noch das Übertönen der weniger Lukrativen forciert. Und lukrativ ist der „König der Löwen“ ja nun wirklich.
In diesem Monat wird der zehnmillionste Besucher in der Hamburger Abspiel-Filiale erwartet. Weltweit ist kein Musical kommerziell erfolgreicher: Seit der Premiere 1997 wurden Tickets für rund 4,8 Milliarden Euro verkauft, mehr als 75 Millionen Zuschauer haben es gesehen. Ein Ende der Begeisterung scheint nicht in Sicht.
Eine Stadt, die seit Jahrzehnten so sehr vom Musical-Boom profitiert wie Hamburg, wäre brüllend blöd, dieses Touristen-Potenzial nicht gewinnmaximierend zu nutzen. International vermarktete Musicals sind als Live-Event auf Augenhöhe mit Fußball. Gut gemacht sind sie Gelddruckmaschinen. Kein Wunder, dass auch auf der Webseite der Hamburg Marketing GmbH der erste Begriff unter der Überschrift „Kulturmetropole“ dieser ist: „Musical“. Erst danach folgt in absteigender Reihenfolge „Oper/Konzerte, Theater, Museen/Ausstellungen, BallinStadt“.
Andererseits ist es keine freundliche Geste gegenüber der eigenen, gewachsenen und stellenweise weniger massenkompatiblen Kulturszene, eine Fließbandproduktion, und sei sie noch so mitreißend, ohne jeglichen Stadtbezug derart prominent zu bewerben. Ein Stück, das seine Qualitäten hat und seine Liebhaber; ein Stück aber auch, das ausschließlich nach betriebswirtschaftlichen Gründen im Hamburg-Sortiment von Stage Entertainment passiert. Sobald es sich nicht mehr rechnet, wird es durch das nächste ersetzt.
Natürlich ist es einfach, ein Erfolgs-Musical zu beorgeln, das ganzjährig läuft und damit eine so sichere Bank ist wie eine McDonald-Filiale in der Fußgängerzone. Aber ist es deswegen auch statthaft? In einer Stadt, deren Kulturetat seit Ewigkeiten kleiner ist, als er es verdient hat? In einer Stadt, die so gern betont, dass Kultur sich „rechnen“ muss? Kann man sich ja mal fragen.