Bereits seit zwölf Jahren steht das Projekt auf der politischen Agenda. Juristisch wirft der Richterspruch Fragen auf. Ökonomisch ist die Elbvertiefung aber dringend notwendig.
Es war ein freundschaftlicher Besuch. Mit den üblichen Floskeln („Nice to see you“) und Gastgeschenken. Doch nach zehn Minuten Harmonie unterbrach Choi Eun-young den Small Talk fast schon schroff. Die Chefin von Hanjin Shipping, einer der größten Reedereien der Welt, stellte ihren Hamburger Gästen die Frage, die sie an diesem Vormittag so sehr interessierte wie keine andere: „Wann kommt endlich die Elbvertiefung?“ Wirtschaftssenator Frank Horch zeigte sich optimistisch, sprach von „Zuversicht“ und „positiven Signalen". Was sollte er auch anderes sagen? Das war im August 2012 in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul.
Auch heute, mehr als zwei Jahre nach diesem Treffen, könnte Frank Horch der charismatischen Reederei-Chefin keine konkretere Antwort geben. Denn am Donnerstag hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass zunächst noch der Europäische Gerichtshof auf die von Stadt und Bund eingereichten Unterlagen schauen soll. Es geht juristisch um die EU-Wasserrahmenrichtlinie und praktisch um die Frage, ob die Wasserqualität der Elbe durch die Eingriffe zur Vertiefung und Verbreiterung des Flusses zu stark beeinträchtigt wird.
Nun kann man sich zu Recht darüber aufregen, dass die in Leipzig abgegebenen Aktenordner offensichtlich nicht ausreichend für eine Entscheidung des Gerichts waren. Man muss allerdings vor allem die Frage stellen, ob große Infrastrukturprojekte in Europa tatsächlich einen so langen planerischen und juristischen Vorlauf benötigen. Seit nunmehr zwölf Jahren steht die Elbvertiefung auf der Agenda der Hamburger Politik. Und noch immer weiß niemand, ob die Fahrrinne ausgebaggert werden darf oder nicht. Komplizierte Planungsverfahren, politische Streitereien, umfangreiche Ausschreibungsrichtlinien, unzählige Klagemöglichkeiten und das Verweisungsrecht an ein nächsthöheres Gericht führen dazu, dass von der Idee bis zum Baubeginn eines Großprojekts nicht selten mehr als ein Jahrzehnt vergeht. Das ist inakzeptabel und muss sich ändern, vor allem wenn es sich um Vorhaben handelt, die von immenser Bedeutung für die Prosperität diese Landes sind.
Hamburg und Deutschland brauchen die Elbvertiefung. Sollten die Richter sie untersagen, werden sich die Reedereien mit ihren neuen Riesenfrachtern, welche die Hansestadt wegen ihrer Breite und ihres Tiefgangs nicht mehr anlaufen können, eben alternative Ziele suchen. Die Annahme, dass der neue Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven Hamburg ersetzen könnte, ist übrigens unrealistisch. Experten gehen davon aus, dass Rotterdam Nutznießer eines Scheiterns der Fahrrinnenanpassung wäre.
Beim Streit um die Elbvertiefung prallen – wie fast immer bei großen Infrastrukturprojekten – ökonomische und ökologische Interessen frontal aufeinander. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass die geplanten Arbeiten an dem Fluss dazu beitragen werden, dass sich die Wasserqualität der Elbe verbessert. Aber letztlich muss bei solchen Vorhaben in einer der wichtigsten Volkswirtschaften der Welt stets eine Abwägung zwischen ökonomischen Nutzen und ökologischen Nachteilen stattfinden. Schließlich hängen am Hamburger Hafen direkt und indirekt weit mehr als 100.000 Arbeitsplätze.
Europa darf seine Zukunft nicht in einem Dschungel von Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien aus den Augen verlieren. Wachstum und Wohlstand in einer lebenswerten Umwelt – so sollte das Ziel aller Europäer lauten. Die geplante Elbvertiefung steht diesem Ansinnen nicht im Wege. Im Gegenteil. Die Eingriffe in die Natur sind akzeptabel, die Arbeiten an der Fahrrinne zum Erhalt und Ausbau des Wohlstands zugleich notwendig.
Nun bleibt allen Beteiligten und Beobachtern nichts anderes übrig, als auf die Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs und das spätere Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu warten. Hoffentlich bekommt Reederei-Chefin Choi Eun-young 2015 endlich eine Antwort auf ihre Frage – und zwar eine positive.