Die Streiks der Lufthansa-Piloten und Lokführer sollten differenziert betrachtet werden

Die Meinung ist schnell gebildet, weil sie so nahe liegt: Piloten bei der Lufthansa verdienen doch genug, jetzt wollen die noch mehr Geld? Und Lokführer verlangen höhere Einkommen bei einer geringeren Arbeitszeit? In der heutigen Zeit! Nicht akzeptabel! Volkes Stimme ist zügig erhoben und laut. Man kann von einer Neiddebatte sprechen. So ähnlich wie bei den Lehrern, die ja alle faul sind, viel zu viel Urlaub haben und nachmittags beim Prosecco im Garten chillen. Lehrer sind schuld, dass die eigenen Kinder nichts lernen. Lokführer und Piloten sind schuld, dass man verspätet von A nach B kommt. Weil sie streiken. Das darf nicht sein! Da ist man sich am Stammtisch einig.

Bei Warnstreiks der gut bezahlten Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie für noch höhere Löhne kocht Volkes Seele übrigens nicht. Erst wenn man von Arbeitskämpfen direkt persönlich betroffen ist, der gerade bestellte Sportwagen wegen des Ausstandes in einer Autofabrik sechs Wochen später als versprochen ausgeliefert wird, kommt der Frust hoch. Dann wird auch hier die Neiddebatte geführt. Dürfen die das?

Stellt sich die Frage, ob Streiks nur noch dann erlaubt werden sollten, wenn sie keine Auswirkungen auf Dritte haben? Eine polemische Frage. Denn Streiks sollen ja genau das: wehtun! Sonst machen sie keinerlei Sinn. Übrigens sollte sich niemand der Illusion hingeben, dass kurzfristige Streiks in der Metallindustrie, auch wenn man sie als Konsument nicht unmittelbar spürt, ohne Auswirkungen auf einen selbst bleiben. Selbstverständlich werden die betroffenen Unternehmen ihre Mehrkosten durch nicht geleistete Arbeit und per Streik durchgesetzte Lohnerhöhungen versuchen, an die Kunden weiterzugeben, zum Beispiel in Form höherer Autopreise. Nur der Bürger merkt die Folgen der Arbeitskämpfe eben nicht sofort. Das ist bei einem Streik der Lokführer und Lufthansa-Piloten anders.

Eine faire Antwort auf die Frage, ob die aktuellen Streikaktionen gerechtfertigt sind oder nicht, kann es nicht geben. Fakt ist: Die Lufthansa will die großzügigen Betriebsrenten ihrer Piloten beschneiden. Wäre man selbst davon betroffen, würde man sich auch mit einer starken Gewerkschaft im Rücken dagegen wehren – egal ob Bauarbeiter, Kassiererin oder Friseur. Fakt ist aber auch, dass die aktuellen Rentenregelungen für Lufthansa-Piloten im Branchenvergleich großzügig ausfallen und die Kranichlinie sich diese Ausgaben – mit Blick auf die Billigkonkurrenz – auf Dauer kaum wird leisten können. Derzeit steht das Unternehmen allerdings noch gut da. Ein operativer Gewinn von fast einer Milliarde Euro im vergangenen Jahr und die Rückkehr zur Dividendenzahlung lassen nicht auf einen darbenden Konzern schließen.

Bei den Lokführern ist die Gemengelage noch komplizierter. Hier geht es nicht nur um mehr Geld und die Forderung nach einer reduzierten Wochenarbeitszeit. Hinzu kommt ein Machtkampf zwischen zwei Spartengewerkschaften um die Frage: Wer ist eigentlich für die Lokführer zuständig? Dass dieser Streit auf dem Rücken der Fahrgäste ausgetragen wird, ist nicht akzeptabel.

Wenn es zu Streikaktionen wie jetzt bei der Lufthansa und der Deutschen Bahn kommt, ist die einseitige Schuldzuweisung fast immer fehl am Platz. Sicherlich nutzen die Gewerkschaften Arbeitskämpfe auch als fragwürdige Maßnahme zur Mitgliederwerbung. Aber die Personalabteilungen der Firmen haben eben auch geschlafen und die Drohgebärden der Arbeitnehmervertretungen nicht ernst genommen. Wie es anders geht, zeigen die Tarifpartner in der Metallindustrie. Der letzte große Streik liegt lange zurück – und sowohl die Beschäftigten als auch die Unternehmen müssen mit Blick auf ihre Einkommen und Gewinne kein Klagelied anstimmen.