Im Kampf gegen die Terrormiliz IS müssen wir unsere gewohnten Prinzipien und manchmal auch unsere Worte überprüfen
Die Deutschen haben aus gutem historischen Grund ein distanziertes Verhältnis zu militärischer Gewalt als Instrument der Politik. Zweimal hat nicht zuletzt deutscher Militarismus Europa in eine Katastrophe gerissen. Dass die Streitkräfte notfalls Interessen des Staates mit der Waffe wahrnehmen, ist in den USA oder Großbritannien mit ihren anderen historischen Erfahrungen und politischen Traditionen selbstverständlich, bei uns überhaupt nicht.
Immerhin trat Ende Mai 2010 mit Horst Köhler der erste Mann im Staat von seinem Amt zurück, weil er formuliert hatte: „Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern.“
Vier Jahre später debattiert die deutsche Politik darüber, wie man dem entsetzlichen Treiben der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ein Ende bereiten – und letztlich damit auch unsere Interessen schützen kann. Deutschland ist Teil einer Staatenkoalition, die militärisch gegen IS vorgeht; scheut sich aber noch, selber einzugreifen. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten gelernt, dass Diplomatie allemal besser ist als Krieg. Dass Kompromisse besser sind als Konflikte. Doch wie soll ein Kompromiss aussehen bei einem Gegner wie IS? Soll eine Übereinkunft darin bestehen, dass IS künftig nur noch jede zweite Geisel mit dem Messer köpft? Oder dass die Miliz Jordanien, ihr nächstes Ziel, erst etwas später mit Krieg und Terror überzieht? Die tieferen Ursachen von Terrorismus sind unter anderem Armut und Bildungsferne. Militärische Mittel taugen kaum jemals zur Lösung einer Krise, doch als Akutmaßnahme zur Abwehr der Bedrohung sind sie derzeit wohl unumgänglich. Um, wie Horst Köhler sagte, „ganze regionale Instabilitäten zu verhindern“. Tausende Verblendete strömen aus Europa in die Reihen der IS, wo sie, wie im „Focus“ zu lesen war, unter anderem lernen, wie man Andersgläubige lebendig begräbt.
Allmählich begreifen wir Deutschen, dass wir uns nicht in einer Oase des ewigen Friedens einigeln können, dass unsere pluralistische Demokratie wehrhaft sein muss. Und auch ein gewisses Ausmaß an gedankenloser Übertoleranz gegenüber Kräften, die alles zerstören wollen, was unsere Zivilisation ausmacht, steht auf dem Prüfstand. Der große Hamburger Schauspieler, Regisseur und Rezitator Christian Quadflieg schlägt nun im Abendblatt vor, auch unsere Wortwahl zu überdenken: „Die täglichen Nachrichten über die Gräuel im Irak und Syrien bewirken ein allgemeines Gefühl der Hilflosigkeit – welche Mittel gibt es, diesen Verbrechen ein Ende zu setzen? Bei dieser Suche sollte man jede auch noch so geringe Chance nutzen, sich von diesen Terroristen zumindest im Sprachgebrauch zu distanzieren. Derartiges tut man gewiss nicht, indem man vom Heiligen Krieg spricht, von Gotteskriegern spricht und die PR-Videos dieser Mörder im öffentlich-rechtlichen Fernsehen präsentiert. Wenn ich aber das Wort „Heiliger Krieg“ in Anführungszeichen setze, wenn ich „Gotteskrieger“ in Anführungszeichen setze, wenn ich, wo ich nur akustisch zu hören bin, das Wort „sogenannt“ vor den fraglichen Begriff setze, so ist das zumindest ein Signal.“
Das Wort „heilig“, sagt Quadflieg, sei „in unseren Breitengraden absolut positiv besetzt. Das Wort des Papstes, der da sagte: „Es gibt keinen heiligen Krieg“ hätte es gar nicht bedurft. Und mit dem Abspielen der Mordvideos im Fernsehen – übrigens schlichtweg ein Skandal – tun wir, als willfährige Vollstrecker dieser Strategie, den Verbrechern auch noch einen Gefallen und bringen diesen Müll zur besten Sendezeit in die deutsche Wohnstube.“
Recht hat er. Diese Gräueltaten als heilig zu bezeichnen beleidigt übrigens nicht nur die Werte das Christentums. Sondern auch die des Islam.
Abendblatt-Chefautor Thomas Frankenfeld greift an dieser Stelle jeden Donnerstag ein aktuelles Thema auf