Seltsam, dass die Deutschen ausgerechnet beim Sprit spendabel sind. Dabei lassen sich mit einem Klick viele Euro sparen

Es geschah in den Abendstunden. Bedrohlich neigte sich der Tankanzeiger in den roten Bereich, als rechts eine Tankstelle auftauchte. Ein schneller Blick auf die Preistafel, den Blinker gesetzt und rauf auf den Hof. Der Liter Diesel sollte an der Behringstraße nur 1,309 Euro kosten. Ich hatte die Zapfpistole gerade gezückt, entsichert und angelegt, da passierte es: Die Preistafel geriet in Bewegung – und wie. In wenigen Hundertstelsekunden kletterte der Dieselpreis um fast vierzehn Prozent – von 1,309 auf 1,489 Euro. Offenbar hatte ich aber schneller gezogen und das Duell an der Zapfsäule gewonnen, der Kraftstoff lief für 1,309 durch den Tankstutzen. In die Freude über den Cent-Sieg im Schnäppchenkrieg mischt sich Verwunderung: Man stelle sich vor, der Bäcker nebenan würde den Brötchenpreis mehrmals am Tag um solche Beträge ändern, der Wirt das Bier verteuern, oder der Zeitungsjunge so an der Preisschraube drehen. Hierzulande wäre der Teufel los. Die Börsen halten viele Deutsche ja wegen ihrer Kursschwankungen für den Hochofen der kapitalistischen Hölle, die wahren Zockerbuden aber liegen an den Ausfallstraßen.

Allerdings sind sie nicht nur Preistreiber, sie sind auch Getriebene. Denn der freie Markt schwächelt an den Tankstellen.

Deshalb hatte der Bundestag im November 2012 die „Markttransparenzstelle für Kraftstoffe“ beschlossen. Seit Dezember 2013 müssen alle 14.500 Tankstellen in Deutschland ihre Preise in Echtzeit ans Bundeskartellamt melden. Über Internetseiten und App-Anbieter von www.adac.de/tanken bis www.tankerkoenig.de werden die Daten an die Autofahrernation weitergereicht. Vermeintliche Marktexperten hatten geweissagt, dass die maximale Transparenz große Preissprünge unmöglich machen. Auch der Mineralölwirtschaftsverband erwartete eine Beruhigung an der Preisfront. Die Hoffnungen trogen: Wie ein Flummi springen seitdem die Preise an der Zapfsäule auf und ab; nach dem großen Wurf fällt er schnell aufs Ausgangsniveau zurück. Am günstigsten ist es übrigens am frühen Abend.

Einiges spricht dafür, dass die Markttransparenz den Mineralölkonzernen ganz gut gefällt. Vor drei Jahren kam das Bundeskartellamt in einer Untersuchung zu der Erkenntnis, dass die fünf großen Konzerne Aral/BP, Esso, Shell, Jet und Total, die zwei Drittel des Kraftstoffabsatzes beherrschen, zwar keine Preisabsprachen träfen, aber ein marktbeherrschendes Oligopol bildeten. Damals hieß es: „Die Unternehmen verstehen sich ohne Worte. Das führt zu überhöhten Preisen.“ Nun muss man gar nicht mehr miteinander sprechen, um sich zu verstehen. Der Blick auf das Smartphone genügt, um in Sekundenbruchteilen maximale Transparenz zu haben. Unterhaltsam ist es auch. Bei den Tank-Apps passiert mehr als in manchem Autorenfilm. Trotzdem nutzt nur jeder vierte Deutsche eine Benzinpreis-App. Seltsam in einem Land, in dem Geiz geil ist und Schnäppchen erotisch sind. Bei Preisschwankungen bis zu 20 Cent und 70 Liter Fassungsvermögen lassen sich 14 Euro sparen. Dafür könnte man, nur so eine Idee, zehnmal das Abendblatt kaufen. Wem das nicht reicht: Benzin-Apps sind auch der 1001. ganz legale Steuertrick. An der Zapfsäule kann jeder Nutzer seine Steuerlast senken. Beim Superbenzinpreis von knapp 160 Cent kassiert Wolfgang Schäuble rund 91 Cent – die Mehrwertsteuer (in diesem Fall gut 25 Cent) steigt mit jedem Cent. Entsprechend weniger fließt nach Berlin, wenn der Sprit billiger ist.

Es darf aber bezweifelt werden, dass Benzin und Diesel durch den transparenten Wettbewerb wirklich billiger geworden sind. Die Tankstellen spielen inzwischen nur nach, was Hoteliers, Fluggesellschaften oder Tourismuskonzerne mit ihren dynamischen Preisen vormachen. Die Mineralölmultis nutzen die Technik, um in verschiedenen Regionen die Preise anzupassen. In der Hauptverkehrszeit oder wohlhabenderen Gebieten erhöhen sie die Kurse, bei hartem Wettbewerb senken sie. Auf der Stecke bleiben da die mittelständischen Unternehmen. Die Unternehmensberatung Simon, Kucher & Partners warnte in einer Analyse, die neue Offenheit nütze vor allem den Großen. Den freien Tankstellen fehlten Kapital und Möglichkeiten, mit der Technik und dem Preis zu spielen. Am Ende schafft die Markttransparenz die kümmerlichen Reste des Marktes ab.