Kommissionspräsident Juncker übergeht die Kanzlerin
Für Günther Oettinger war es ein bitterer Mittwoch. Zwar darf der CDU-Politiker Kommissar in der Europäischen Kommission bleiben, er verliert aber das relativ wichtige Energieressort. In Zukunft macht Oettinger in Brüssel den Dobrindt – er ist für die „Digitale Wirtschaft“ zuständig. Das mag modern klingen, ist am Ende aber ein klarer Abstieg. Der ehemalige Baden-Württemberger hatte mit Unterstützung der Kanzlerin auf das wichtige Amt des Handelskommissars geschielt. Vergeblich.
Man kann diese Besetzung als klaren Fingerzeig gegen Angela Merkel und Deutschland verstehen. Auf Schwergewichte wird keine Rücksicht genommen – und Qualifikation spielt in Brüssel seit jeher keine große Rolle. Oettinger hat das Energieressort kompetent geführt, als Internetexperte ist er bislang nicht aufgefallen. Wie so oft in Europa ist Proporz wichtiger als Kompetenz: Ausgerechnet der französische Finanzminister Pierre Moscovici wird gegen erbitterten deutschen Widerstand der starke Mann für Wirtschaft und Finanzen – in Frankreich hatte er als Etatverantwortlicher die Defizit-Hürden gleich mehrfach gerissen. Ausgerechnet der britische Eurokritiker Jonathan Hill soll für Finanzstabilität und Kapitalmärkte zuständig werden. Juncker macht die Böcke zu Gärtnern, mag man vermuten. Vermutlich will er aber seine schärfsten Kritiker und größten Problemfälle von vornherein einbinden.
Auch andere Kritiker hat er mit mächtigen Ämtern bedacht: Die Schwedin Cecilia Malmström steigt zur Handelskommissarin auf, als sein erster Stellvertreter wird der bisherige niederländische Außenminister Frans Timmermans zur rechten Hand des Luxemburgers. Wir erinnern uns: Aus Großbritannien, Schweden und den Niederlanden kamen die größten Vorbehalte gegen die Ernennung des „ewigen Europäers“ Juncker. Es war schließlich Kanzlerin Angela Merkel, die die Kritiker auf Kurs brachte. Dass ausgerechnet sie sich nun als Verliererin fühlen muss, könnte am Ende der schwerste Fehler des neuen EU-Kommissionspräsidenten sein. Es war nicht nur für Oettinger ein enttäuschender Tag – es könnten auch enttäuschende Jahre für Europa werden.