In der Spionage verschwimmen die Grenzen schnell
Die Qualität und Effektivität eines Geheimdienstes lässt sich auch daran messen, wie „geheim“ er überhaupt arbeiten kann. Die Amerikaner haben schmerzhaft erfahren, dass ein einziger „Enthüller“ wie Edward Snowden, der den englischen Begriff dafür (Whistleblower) zu seinem Markenzeichen erhoben hat, für politischen Unfrieden auch „unter Freunden“ sorgen kann. Seit Snowden in seinem Moskauer Exil die Welt mit immer neuen Details über die allumfassende Spähtaktik der US-Agenten schockt, brechen die Geheimhaltungsdämme auch anderswo.
Das jüngste Beispiel: die Erkenntnisse der Medien über aufgezeichnete Telefongespräche von US-Außenminister John Kerry und seiner Vorgängerin Hillary Clinton durch den Bundesnachrichtendienst. Wenn es stimmt, dass diese Mitschnitte unbeabsichtigt als „Beifang“ im Überwachungsnetz landeten, lässt sich dieser Fauxpas nur schwerlich mit der systematischen Strategie des Abhorchens und Abgleichens der NSA-Superbehörde vergleichen. Dass die Amerikaner darüber außerdem von einem BND-Mitarbeiter informiert wurden, dem US-Spionage vorgeworfen wird, ist eine weitere pikante Einzelheit. Offensichtlich wissen die Geheimdienste selbst nicht mehr, wer Freund oder Feind ist.
Die Frage danach ist beim Nato-Partner Türkei wohl auch nur schwer zu beantworten. Wenn Extremisten türkischer Gruppen, ob von links oder rechts, aus Deutschland Verbindungen zu Drogenschmugglern und Schleuserbanden pflegen, wäre es fahrlässig, wenn der deutsche Nachrichtendienst dem nicht nachginge. Schließlich geht es dabei auch um die innere Sicherheit Deutschlands. Wo bleibt die eigentlich? Soll der eigene Geheimdienst untätig bleiben, während um uns herum Freunde wie Feinde munter drauflosabhören und politische und wirtschaftliche Informationen für sich nutzen? Spätestens seit dem Wochenende wissen wir: Auch der deutsche Nachrichtendienst macht das, was alle anderen auch tun, ob sie es nun zugeben oder nicht.
„Ausspähen unter Freunden geht gar nicht“ (Angela Merkel) bedarf also weiterer Erklärung. Wer sind noch mal unsere Freunde?