Hamburgs Überschuss im Haushalt ist erfreulich, aber gewonnen ist noch lange nichts
Diese Zahl hat selbst Experten den Atem verschlagen: Sagenhafte 572Millionen Euro hat Hamburg im ersten Halbjahr 2014 mehr eingenommen als ausgegeben. Einen Haushaltsüberschuss von mehr als einer halben Milliarde Euro innerhalb von sechs Monaten – das hat es in dem Stadtstaat an der Elbe vermutlich noch nie gegeben.
Manch einer mag angesichts dieser Zahlen schon zur Schampuspulle greifen und durchrechnen, was man sich nun alles Schönes leisten könnte: 1000 neue Lehrer für noch kleinere Klassen und bessere Unterrichtsqualität? Einen noch längeren Autobahndeckel in Altona? Oder doch lieber ein drittes großes Konzerthaus? Oder alles zusammen? Schöne Träume, aber leider sind derlei Überlegungen völlig unangebracht. Denn tatsächlich ändert die aktuell gute Haushaltslage an der finanziellen Situation der Stadt wenig bis gar nichts.
Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens handelt es sich lediglich um eine Stichtagsbetrachtung, die nicht ohne Weiteres auf das Gesamtjahr übertragen werden kann. So wie man beim Fußball aus einer 2:0-Halbzeitführung noch nicht zwingend auf einen 4:0-Sieg am Ende schließen kann, verläuft auch ein Haushaltsjahr nicht linear. Viele Einnahmen und Ausgaben fließen ungleichmäßig oder geraten auch mal ins Stocken. Zwei Beispiele: 2012 lagen die Steuereinnahmen zehn Monate lang auf Rekordkurs, brachen dann aber im November und Dezember völlig überraschend ein. Umgekehrt dann 2013: Da hatte die Stadt am Jahresende deutlich weniger ausgegeben als geplant – was aber in erster Linie dem Zufall geschuldet war, dass eine große Rechnung für die Elbphilharmonie sich verzögert hatte.
Nicht zuletzt bleibt das Konjunkturrisiko: Bislang brummte die Hamburger Wirtschaft und spülte enorme Summen in die Stadtkasse. Doch die Stimmungsbarometer zeigen bereits nach unten, und ein Rückgang der Einnahmen ist nur eine Frage der Zeit. Leichtfertig beschlossene neue Ausgaben könnten die Stadt also schon bald vor neue Probleme stellen.
Zweitens sind alle Bundesländer angehalten, zu „strukturell“ ausgeglichenen Haushalten zu gelangen. Das sind solche, die auch in Jahren mit normalen Einnahmen ohne Kreditaufnahme auskommen – ob Hamburg das schafft, wird es erst noch beweisen müssen. Denn 2014 ist kein normales Jahr, die Einnahmen liegen eine halbe Milliarde über dem langjährigen Mittel. In solchen Jahren sollten die Länder Schulden tilgen und ein Polster anlegen, von dem sie in schlechten Jahren zehren können.
Das führt zum dritten Punkt: Hamburg hat rund 25 Milliarden Euro Schulden, hinzu kommen Pensionsverpflichtungen und Verbindlichkeiten der öffentlichen Unternehmen ebenfalls in zweistelliger Milliardenhöhe. Das alles muss irgendwann bezahlt oder zurückgezahlt werden. Wenn Ende 2014 wirklich 570 Millionen oder wie viel auch immer übrig sein sollten, könnte man damit einen kleinen Anfang machen. Mehr nicht.
Viertens schwebt ein enormes Risiko über dem Haushalt: die niedrigen Zinsen. Derzeit muss Hamburg Gläubigern gerade mal ein Prozent Zinsen zahlen. Wenn dieser Wert auch nur auf zwei oder drei Prozent steigt, was immer noch niedrig wäre, würde das die Stadt mehrere Hundert Millionen Euro im Jahr kosten – zusätzlich.
Der Senat tut also gut daran, die erfreulichen Halbjahreszahlen nicht lauthals zu bejubeln. Denn trotz des wirtschaftsfreundlichen Kurses der SPD liegt dem weniger eine politische Leistung zugrunde als die der Hamburger Arbeitnehmer und Unternehmer. Und zweitens wird das Ziel, dauerhaft und strukturell ohne neue Schulden auszukommen, vom Senat zwar hartnäckig verfolgt – es ist aber noch nicht erreicht. Daher gilt: Weitermachen! Die zweite Halbzeit muss erst noch gespielt werden.