WM-Proteste dürfen nicht eskalieren – auch im Sinne der Hamburger Olympiaträume
Kein anderes Ereignis wird die Welt in den nächsten 32 Tagen so elektrisieren wie die Fußball-WM, die heute Abend mit dem Auftritt des Gastgebers Brasilien gegen Kroatien eröffnet wird. Und auch in Hamburg wird über Joachim Löws Turniertaktik leidenschaftlicher diskutiert werden als über Elbvertiefung oder Elbphilharmonie. Zumal das Land am Zuckerhut eine ganz besondere Faszination auf Fußballfans ausstrahlt. Brasilien, das ist schon dank Pelé gleichsam ein Synonym für magische Ball-Nächte.
Doch die Bilder aus dem Land des fünfmaligen Weltmeisters transportierten in den vergangenen Wochen eine ganz andere Sprache als Samba-Folklore und Karnevalspracht. Zu sehen waren brennende Barrikaden, knüppelnde Polizisten und verletzte Demonstranten.
Und es gibt ernstzunehmende Experten, die in den kommenden Wochen eine Welle der Gewalt befürchten. Zu tief sitzt der Frust im Volk über Milliardeninvestitionen in Stadien, deren Nutzung nach der WM zum Teil höchst fraglich ist, während noch immer 13 Millionen Brasilianer hungern. Über Eintrittspreise, die sich kein Normalverdiener leisten kann. Und über eine Schere zwischen Arm und Reich, die immer größer wird.
Nicht nur das Land des Gastgebers muss nun hoffen, dass die völlig berechtigten Proteste zumindest weitgehend friedlich bleiben. Es wäre ein verheerendes Signal für demokratische Staaten, sollte das Fußballfest in eine Orgie der Gewalt umschlagen. Denn genau das würde die Bereitschaft freier Länder weiter dämpfen, sich überhaupt noch um weltumspannende sportliche Großveranstaltungen zu bewerben.
Auch für Hamburgs olympische Träume wäre ein Chaos am Zuckerhut fatal. Viele Hamburger fürchten schon jetzt, dass der Slogan „Feuer und Flamme“ der ersten gescheiterten Bewerbung in ihrer Heimat hässlich real werden könnte, sollten die fünf Ringe wirklich an die Elbe kommen.
Sind irgendwann Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften nur noch in totalitären Staaten zu managen? So wie Russland 2018 mit WM-Gastgeber Wladimir Putin, den nur Altkanzler Gerhard Schröder für einen lupenreinen Demokraten hält? Oder in Katar, dem Wüstenstaat, wo Migranten unter Sklavenbedingungen den Scheichs eine schöne bunte Fußballwelt für das Jahr 2022 bauen? Die Vorliebe der Fifa-Herrscher für Despoten ist verständlich. Wo Tyrannen regieren, sind Massenproteste, die das Image ihres Milliardenprodukts Fußballs beschädigen könnten, kaum zu befürchten. Und die Geschäfte der Fifa, erschüttert von immer neuen Korruptionsskandalen, laufen in Diktaturen nun einmal wie geschmiert. Denn Despoten haben naturgemäß einen sehr schwach ausgeprägten Sinn für Aufklärung und Strafverfolgung von Bestechung und Mauscheleien.
Schon deshalb ist den Brasilianern so sehr zu wünschen, dass ihnen eine großartige WM gelingen möge. Mit einer besonnenen Polizei, die friedliche Proteste duldet und nur dann eingreift, wenn Demonstrationen in Gewalt umschlagen. Mit Organisationschefs, die dafür sorgen, dass auch Anhänger ohne WM-Tickets ihre Begeisterung bei Fanfesten ausleben können. Mit einer Regierung, die die soziale Kluft nicht noch weiter vertieft. Und einer Fifa, die konsequent die Korruptionsvorwürfe bei der Vergabe der Katar-WM aufklärt, bis hin zu einer Neuvergabe.
Diese WM ist mehr als nur ein Spiel. Sie kann zu einem Signal werden, dass es sich eben doch lohnt, sich für die Vision eines völkerverbindenden Festes zu engagieren. Für ein Fest, das Grenzen überschreitet. Zwischen Nationen, Religionen und Kulturen, ob nun im Zeichen des WM-Pokals oder der olympischen Ringe. Ein Fest, das eines Tages hoffentlich auch in Hamburg stattfinden wird.