Sensibilität für jüdische Bestattungskultur fehlt
Der Verfall einer stillgelegten Kartoffelhalle am Bahnübergang Jenfelder Straße spiegelt symptomatisch, wie wenig sensibel Eigentümer und Teile der Öffentlichkeit mit jüdischen Gräbern umgehen. Wo einst ein jüdischer Friedhof war, werden heute unter diesem Gebäude weitere jüdische Gräber vermutet. Fast 70 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft wird der Verstorbenen noch immer nicht respektvoll gedacht.
Das mag zum einen daran liegen, dass nur wenige das genaue Schicksal dieses Geländes an der Bahntrasse kennen. Der Zwangsverkauf des jüdischen Friedhofs an die Hansestadt und die Schändung der Grabstätten in der NS-Zeit markieren das traurigste Kapitel eines Ortes, der einmal Platz für 1000 Gräber bieten sollte.
Zum anderen spielt auch die verbreitete Unkenntnis jüdischer Bestattungskultur eine Rolle. Friedhöfe sind für das Volk Gottes heilige Orte und ihre Gräber für die Ewigkeit bestimmt. Dass dies in einer modernen Gesellschaft zu Konflikten führen kann, zeigte in den 1990er-Jahren der Streit um den Neubau eines Einkaufszentrums in Ottensen. Jüdisch-orthodoxe und ökonomische Interessen standen damals in einem eklatanten Konflikt. Ein Jerusalemer Oberrabbiner machte schließlich den salomonischen Vorschlag, die Grabstätten mit einer Betonplatte zu schützen, darauf das Mercado zu errichten und mit Gedenktafeln an die Verstorbenen zu erinnern.
Hamburg könnte sich die Neuauflage eines solchen Konflikts ersparen, wenn im Fall des Jenfelder Friedhofs alle Beteiligten rechtzeitig miteinander reden. Am Ende sollte ein Kompromiss stehen, der die Totenruhe schützt und die Verstorbenen in angemessener Weise würdigt. Im Idealfall könnte dort wieder ein neuer jüdischer Friedhof entstehen.
Es macht in der Debatte über die künftige Nutzung ein bisschen Mut, dabei nicht nur Wutbürgern zu begegnen. Es gibt vielmehr viele Hamburger, die mit offenen Augen durch ihren Stadtteil gehen und Missstände anprangern. Sie haben erkannt, dass hinter einer alten Kartoffelhalle mehr steckt als lediglich ein baufälliges Gebäude.