Der strauchelnde Bundesligist und die Metropole haben vieles gemeinsam: Hochmut, Selbstgefälligkeit, Abstiegsgefahr
Der HSV ist dem Teufel noch einmal von der Schippe gesprungen. Doch machen wir uns nichts vor: Diese Truppe hätte sich über den Abstieg nicht beschweren dürfen – das Maß an Hochmut und Dilettantismus, dieser Mangel an Einstellung und Engagement führt normalerweise in die 2. Liga. Es war pures Glück, dass die Mechanismen der Leistungsgesellschaft hier nicht griffen.
Ende gut, alles gut? Wohl kaum. Viele übersehen, dass der HSV symbolisch für die Stadt steht. Der HSV ist Hamburg. Und beide haben ähnliche Probleme, weil sie den Anschluss zu verlieren drohen. Die Wurzeln allen Übels sind ein gewisser Dünkel, die Selbstgefälligkeit, die weitverbreitete Zukunftsvergessenheit angesichts der ruhmreichen Vergangenheit. Ich komme jetzt nicht mit Helmut Schmidts Text von der „schlafenden Schönen“, aber dass er seit 53 Jahren immer wieder munter und passend zitiert werden kann, lässt tief blicken. Konstruktive Kritik an der Hansestadt wird in manchen Kreisen noch immer als Vaterstadtsverrat verstanden und allenfalls spitz kommentiert: „Sie müssen hier ja nicht leben.“ Auch das ständige selbstverliebte Geschwätz in Funk und Fernsehen von der „schönsten Stadt der Welt“ mag wie sympathische Heimatliebe klingen, es wirkt aber arg kleinkariert. Krähwinkel ist ein Stadtteil Hamburgs. Und Hochmut kommt vor dem Fall. Denn andere werden besser.
Wer vor diesem Wochenende sich in der Stadt umhörte, traf so gut wie niemanden, der ernsthaft eine Niederlage gegen Fürth einkalkuliert hatte – weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Diese Wirklichkeitsverdrängung ist nicht nur im Sport weitverbreitet, sondern vielerorts zu spüren. Niemand, weder Umweltverbände noch Hafenunternehmen, rechnet beispielsweise ernsthaft damit, dass das Bundesverwaltungsgericht die Elbvertiefung stoppt. Was aber, wenn es doch in Leipzig zum GAU kommt? Dann steht der Hafen vor dem Abstieg eines Welthafens zu einem Regionalhafen, dann könnte eine gefährliche Erosion des maritimen Standorts einsetzen, dann aber gehen auch die Umweltverbände vermutlich schweren Zeiten entgegen: Die Hamburger schätzen ihren Kampf, aber sie missbilligen ihren Sieg.
Abstiegskampf allerorten. Erst kürzlich nannten die ehemaligen Senatoren Willfried Maier (GAL) und Wolfgang Peiner (CDU) sowie Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) Hamburgs Hochschulen zweitklassig. Ähnlich sahen es die Exzellenzinitiativen des Bundes: In der 1. Liga spielen die Universitäten Berlin, München, Karlsruhe, Göttingen, Heidelberg, Freiburg, Aachen und, ja, Konstanz. Auch die Bildungsliga kennt ein Hoffenheim. Das niederschmetternde Ergebnis für Deutschlands zweitgrößte Metropole liegt nicht nur in den Versäumnissen an den hiesigen Hochschulen und der überschaubaren Finanzierung durch die Senate begründet, es liegt auch an der Elite der Stadt. Sie fremdelt mit den heimischen Universitäten und unterstützt sie nur unzureichend. Das Geld der Mäzene, der Geist der Denker, die Geniestreiche der Erfinder, sie aber gehören an die Hochschulen.
Zumindest ist der Bildungsbereich mangels großer Historie unverdächtig, einen Kevin-Keegan-Kater zu bekommen. Das Hadern mit der Gegenwart und das Beschwören alter Meisterschaft ist in Hamburg weitverbreitet. Hamburgs Medienschaffende schwelgen in den goldenen Zeiten der Verlage an der Elbe, die Musikbranche sehnt sich nach Star-Club und Universal, die Kultur träumt sich in die Ära zurück, als das Schauspielhaus Deutschlands erste Adresse war. Nur: Die Herrlichkeit von gestern schafft kein Morgen – ganz im Gegenteil, sie kann lähmen. Die Angst vor dem Abstieg, das hat die Rückrunde des HSV bewiesen, hätte fast den Weg dorthin bereitet.
Immerhin gibt es Zeichen der Hoffnung, Talente, auf die zu setzen gilt. Der Tourismus wächst seit Jahren, die Windenergiebranche boomt, bei Internetfirmen und Spieleentwicklern liegt Hamburg sogar vorne. Selbst die Elbphilharmonie – die als großes Wagnis begann und derzeit eher als großes Ärgernis gilt –, könnte nach ihrer Eröffnung die Stadt zurück in die Spitzenliga der Städte katapultieren. Diese Stadt hat enorme Möglichkeiten, sie muss sie endlich nutzen. Der HSV gehört nicht in die 2. Liga. Hamburg erst recht nicht!