Ist der Investor wirklich insolvent? Die Stadt darf nicht den Eindruck von Tricks erwecken.
Ist das nun eine unerwartet glückliche Fügung für den Senat im Ringen um die Zukunft des alternativen Stadtteilzentrums Rote Flora – oder doch etwa ein Taschenspielertrick? Sicher ist, dass eine Insolvenz des Flora-Eigentümers Klausmartin Kretschmer der SPD-Landesregierung außerordentlich gelegen käme. Sollte der selbst ernannte Kulturinvestor tatsächlich pleite sein, wäre das für den Senat die mit Abstand geschmeidigste Lösung, um die Immobilie wieder in die Hände zu bekommen – womöglich sogar zu einem günstigen Kaufpreis, wenn die Stadt die Rote Flora aus der Insolvenzmasse erhielte, ohne dass Kretschmer wie bisher dazwischenfunken kann.
Das käme dem Senat auch deshalb gelegen, weil ungewiss ist, ob ihn der bisher eingeschlagene Klageweg zum Erfolg führt. Die Stadt wirft Kretschmer Vertragsbruch vor, weil dieser Bauvoranfragen gestellt hatte, obwohl er sich jede Veränderung am Gebäude hätte genehmigen lassen müssen. Mit dieser Begründung fordert sie die Rote Flora für den ursprünglichen Kaufpreis von 190.000 Euro zurück und zieht vor Gericht. Wie dieses Verfahren ausgeht, steht dahin. Mag sein, dass die Stadt recht bekommt. Sie bewegt sich allerdings auf juristisch sehr wackeligem Boden. Experten bezweifeln, dass allein Bauvoranfragen schon einen Vertragsbruch bedeuten.
So erscheint die mögliche Insolvenz des Investors fast schon wie ein Geschenk – hätte die ganze Sache nicht ein Geschmäckle. Und das liegt nicht nur daran, dass der Insolvenzantrag vom Finanzamt kam, das Teil der städtischen Finanzbehörde ist. Sondern auch an der Person des Insolvenzverwalters Nils Weiland. Der Jurist ist zugleich stellvertretender SPD-Landesvorsitzender und damit Vize von Olaf Scholz, der als Bürgermeister im Rathaus regiert. Dort ist man entschlossen, mit ganzer Kraft Kretschmer und seine Pläne für den Bau eines sechsstöckigen kommerziellen Veranstaltungszentrums zu bekämpfen, und wirft ihm vor, mit seinen Drohungen bewusst zu zündeln.
Spekulationen darüber, wie es um Kretschmers Finanzverhältnisse bestellt ist und ob der Mann womöglich pleite ist, gibt es schon lange. Jedes Mal, wenn Rechnungen wie bei seiner Hochzeit nicht bezahlt werden oder eine seiner Immobilien unter Zwangsverwaltung gerät wie der Brandshof oder die Riverkasematten, erhalten die Gerüchte neue Nahrung. Obwohl auch der Senat davon ausging, dass Kretschmer das Wasser finanziell bis zum Hals stehen dürfte, haben der Investor und sein Berater Gert Baer nicht zugegriffen, als ihnen die Stadt für die Rote Flora 1,1 Millionen Euro bot. Und stets – wie auch jetzt wieder – behauptet, über ausreichend Mittel zu verfügen.
Nun bekommt also ausgerechnet der stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Einblick, wie es tatsächlich um die Finanzkraft von Kretschmer steht. Hier soll ausdrücklich nicht unterstellt werden, dass Weiland sein berufliches Mandat mit dem Parteiamt vermengt. Aber der Anschein ist ausgesprochen unschön – und der hätte vermieden werden müssen.
Das Ringen um die Immobilie im Schanzenviertel ist schon lange ein Machtpoker. Kretschmer selbst hat zu manch taktischem Kniff gegriffen und die linke Szene gezielt provoziert. Doch so berechtigt der Wille des Senats ist, die Rote Flora als Stadtteilzentrum zu erhalten und nicht dem Spekulationsinteresse eines klammen Immobilieninvestors anheimfallen zu lassen: Er muss auch den bloßen Anschein ausräumen, mit unsauberen Methoden zu spielen. Gerade wenn sich das Ganze für den Senat nur durch einen Zufall glücklich fügt.