Der Senatsbericht zu den Ermittlerpannen zum NSU: Manches ist richtig, vieles zu vage.
Vielleicht ist es vor allem die Sprache, die erschüttert: nüchtern, kühl, wenig selbstkritisch in den entscheidenden Punkten, ohne Worte des Mitgefühls. Dabei geht es eben nicht nur um eine einfache Drucksache, die der Senat Ende April der Öffentlichkeit präsentieren will. Jahrelang blieb die NSU-Mordserie unentdeckt, Ermittler machten falsche Verdächtigungen gegen die Familien der Opfer – auch in Hamburg. Im Bericht des Senats über die Konsequenzen aus dem bundesweiten Behördenversagen geht es deshalb auch um Vertrauen, das der deutsche Staat zurückgewinnen muss. Vor allem bei Migranten, aber auch bei allen anderen Bürgern Deutschlands. Das 122 Seiten starke Papier, das dem Abendblatt nun in einem Entwurf vorliegt, ist ein Politikum. Der Senat muss das erkennen. Sonst verpasst er eine Chance.
Zehn Morde erlebte Deutschland, mutmaßlich begangen durch Neonazis. Jahrelang unterschätzten Verfassungsschutz und Polizei rechtsterroristische Gewalt in Deutschland. Mit Bekanntwerden der NSU-Mordserie gerieten Pannen, Fehler und Verstrickungen der Sicherheitsbehörden in den Fokus. Auch Hamburg hatte einen Mordfall, 2001. Aber der Norden war weder Schwerpunkt der Mordserie noch des staatlichen Versagens. Und doch: Wer es mit Vertrauen ernst meint, lässt andere auf die Fehler der Hamburger Polizei und des Verfassungsschutzes schauen. Mit dem Senatspapier aber bleibt der wichtigste offizielle Bericht der Stadt zur NSU-Aufarbeitung in der Hand der Regierung – nicht in der Hand des Parlaments oder externer Kommissionen (wie in Thüringen).
Es ist traurig, dass erst eine bittere Mordserie Anschub geben musste für tief greifende und ernsthafte Reformen bei Polizei und Verfassungsschutz. Nun schließt sich Hamburg vielen Vorschlägen von Bund, Ländern und Untersuchungsausschuss an. Der Senat macht in dem Bericht deutlich, dass er die Vorschläge der Abgeordneten im Bundestag ernst nimmt. Das ist wichtig. Vor allem der engere Austausch von Bundesbehörden und Landesämtern ist entscheidend, um Fehler wie bei der NSU-Mordserie künftig zu verhindern. Das von Hamburg unterstützte bundesweite Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus sowie die Neonazi-Datei sind zentrale Reformschritte. Und doch: Die Konsequenz des Versagens von Ländern und Bund bei der NSU-Mordserie darf nun nicht zu einem zentralisierten Sicherheitsmonstrums im BKA oder beim Bundesamt für Verfassungsschutz führen. Richtige Vorstöße hält der Senat in dem Papier fest: so etwa auch bei der stärkeren Kontrolle der V-Leute im Verfassungsschutz. Positiv ist auch, dass der Senat ebenso wie andere Landesregierungen das Staatsversagen in der NSU-Mordserie als Thema in die Ausbildung neuer Beamter aufnehmen will. Nur durch ernsthaftes Erinnern an diese Fehler werden sie in Zukunft verhindert. Hamburgs Polizei sucht zudem Migranten als Beamte und will interkulturelles Training verbessern. Mehr Helfer aus ausländischen Familien sind die beste Prävention gegen Ausländerfeindlichkeit – nicht nur in Behörden.
Doch auch viele Belanglosigkeiten füllen die Seiten des Berichtsentwurfs: Zusammenarbeit verbessern, Doppelarbeit verhindern. Das ist selbstverständlich. Und vieles bleibt im Futur: Es werde zu prüfen sein, heißt es, man werde Reformen konstruktiv begleiten. So bleibt eine Sorge: Stehen wir in zehn Jahren wieder fassungslos vor einer unentdeckten Mordserie? Es wird Aufgabe der Parlamentarier in Bundestag und Bürgerschaft sein, den Fortgang der Reformen kritisch zu begleiten. Denn beängstigend ist die Wucht, mit der einige Innenpolitiker derzeit Sicherheitspolitik verschärfen: von Vorratsdatenspeicherung und Kameraüberwachung bis hin zu Gefahrengebieten. Es ist ein Zeitgeist, der an einer bürgernahen und transparenten Sicherheitsarchitektur zweifeln lässt.