Die Abkehr vom Turbo-Abi und die Folgen für den Norden

Vorwärts, wir müssen zurück: Die rot-grüne Landesregierung von Niedersachsen hat sich dem Druck gebeugt und kehrt zum Abitur nach 13 Jahren zurück. Das ist leider notwendig, weil die Schulpolitiker gleich welcher Couleur vor mehr als einem Jahrzehnt das Turbo-Abitur eingeführt haben, ohne die Lehrpläne zeitgleich gründlich zu entschlacken. Mehr Kurzsichtigkeit war nie.

Die Folge waren genervte Lehrer und überforderte Schüler, für die Freizeit ein Fremdwort wurde. Ungewollter, aber fast zwangsläufiger Nebeneffekt des Turbo-Abiturs: Vor allem Kinder und Jugendliche aus dem Bildungsbürgertum konnten mit häuslicher Unterstützung oder kommerzieller Nachhilfe rechnen, die soziale Herkunft als Basis für den eigenen Aufstieg wurde zementiert. Die Entscheidung in Hannover ist aber auch ein Signal Richtung Hamburg. Hier sperrt sich eine große Koalition aller Bürgerschaftsfraktionen gegen die Rolle rückwärts. Die vor wenigen Tagen veröffentliche Meinungsumfrage im Auftrag des Abendblatts zeigt, dass eine breite Mehrheit der Eltern genau diesen Purzelbaum nach niedersächsischem Vorbild erwartet.

Weder in Schleswig-Holstein noch in Mecklenburg-Vorpommern ist die Rückkehr zu G9 derzeit ein großes Thema. Mit der niedersächsischen Entscheidung wird jetzt der schulpolitische Flickenteppich im Norden noch ein bisschen „abwechslungsreicher“. Genau das aber ist fatal in einer modernen Gesellschaft mit hoher Mobilität, weil Ländergrenzen Umzüge etwa in der Metropolregion Hamburg wegen unterschiedlicher Schulpolitik erschweren.

Niedersachsen aber hat mit seiner Entscheidung nur das kleinere Problem angepackt. Das große Flächenland leistet sich eine Schulvielfalt nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst vor Veränderung. Es gibt Haupt-, Real- und Oberschulen, Integrierte und Kooperative Gesamtschulen sowie das Gymnasium. Die sachlich gebotene Orientierung an der in den Nachbarländern inzwischen weitgehend erreichten Zweigleisigkeit scheitert an ideologischen Vorbehalten auf beiden Seiten – zulasten der Kinder und Jugendlichen.