Frauen, die mit bloßem Oberkörper joggen. Männer mit Kinderwagen, die Babybrei und Windeln kaufen. Ein Spiel mit Klischees, oder doch mehr? Was ist Ihre Meinung?

Der Film heißt „Unterdrückte Mehrheit“. Er stammt von der französischen Filmemacherin Eleonore Pourriat, und eigentlich sollten Sie ihn gesehen haben, bevor sie diese Kolumne lesen: Er macht nämlich etwas mit einem. Auf mehreren Ebenen.

Er nervt, weil er in den meisten Momenten unheimlich plump und plakativ ist, und „wir Frauen“ natürlich längst schon viel weiter sind als das, was da im Film gezeigt wird. Er gefällt, weil es abseits der plumpen Momente hin und wieder Details gibt, die den Alltagssexismus unserer Gesellschaft in nur wenigen Bildern treffend beschreiben.

Hier ist der Link zum Film

Und er wirft Fragen auf, weil so vieles darin so unvorstellbar scheint: Frauen, die mit bloßem Oberkörper joggen. Frauen, die tagsüber nirgendwo zu sehen sind: Weil sie arbeiten (müssen) und es die Männer sind, die das Straßenbild prägen. Männer mit ihren Kinderwagen, im Park und auf Spielplätzen. Männer, die mit Rändern unter den Augen beim Latte Macchiato sitzen. Männer im Supermarkt, die Babybrei und Windeln kaufen.

Kurz zum Inhalt des Films: In zehn Minuten erzählt die französische Regisseurin Eléonore Pourriat die Welt aus der Sicht von Pierre – der lebt sein Leben in der klassischen Frauenrolle. Er bringt sein Kind in die Kita und fragt den Kindergärtner, warum er neuerdings Schleier trage und keinen Bart mehr. Unterwegs sieht er Frauen, die mit nacktem Oberkörper joggen oder offen auf die Straße pinkeln, und am Ende wird er Opfer einer Vergewaltigung – das Protokoll wird von einer Frau aufgenommen, die auf einer Polizeiwache voller Frauen arbeitet. Später holt Pierres Frau ihren Mann aus dem Krankenhaus ab. Spät allerdings, sie hatte es nicht früher aus dem Meeting geschafft.

Es ist nicht die große Wut, die einen umtreibt nach diesem Film, auch nicht die große Resignation. Vier Frauen, die einen Mann vergewaltigen, das hat nun wirklich nichts mit der Realität zu tun. Wenn Frauen tatsächlich das herrschende Geschlecht wären, würden ihnen sicher subtilere Methoden einfallen, die eigene Macht zu missbrauchen. Gewalt muss ja nicht zwangsläufig körperlich sein.

Und trotzdem lässt der Film einen nicht kalt. „Nur, was willst du denn dazu noch schreiben?“ Diese Frage männlicher und weiblicher Kollegen war angesichts der allumfassenden Berichterstattung zum Thema Chancengleichheit in den vergangenen Monaten durchaus berechtigt. Die Argumente sind bekannt, sie wurden oft genug geschrieben (und nahezu von jedem): Dass alles eine Frage der Macht ist, aber die nun einmal ungerecht verteilt. Dass man da jetzt so schnell auch nichts dran ändern kann. Dass sich doch auch schon einiges geändert hat. Dass wir nicht so weit sind wie wir denken – sondern immer nur weiter denken, als wir eigentlich sind. Und wie immer fallen mir die kleinen Szenen ein.

Wie einer Bekannten neulich auf einer Konferenz über Sicherheitspolitik, auf der sie als Expertin eingeladen war, in der Kaffeepause ein leeres Milchkännchen in die Hand gedrückt wurde – ein männlicher Wissenschaftler bat sie, doch kurz die Milch nachzufüllen. Dass die Frau, die ihm im Kostüm gegenüberstand eine Kollegin und keine Servicekraft sein könnte, war ihm gar nicht in den Sinn gekommen.

Oder die Szene, wie ich mal einen berühmten Bundesligatrainer nach dem Spiel von meinem damaligen Chef grüßte – und der mich fragte, ob ich dessen neue Freundin sei. Natürlich vor allen. Nein, ich arbeite hier, habe ich geantwortet. Die männlichen Kollegen feixten sich einen.

Es ist die Summe der Details, die das Gesamtbild bestimmt.

Wie ist Ihre Meinung zu dem Film von Eléonore Pourriat? Erkennen Sie sich wieder? Als Frau oder als Mann? Finden Sie die Darstellung okay? Oder lässt der Film Sie komplett kalt? Schreiben Sie mir unter iris.hellmuth@abendblatt.de.