... und aus einem Bollwerk ein Boulevard. Etwas über Entlehnungen, Rückentlehnungen und die Rundreise der Wörter durch Europa
„Geburtstag“ bedeutet nicht „Tag der Geburt“, sondern „Jahrestag der Geburt“. Seinen ersten Geburtstag feiert man also, wenn man ein Jahr alt ist. Der Tag, an dem jemand 50 Jahre alt wird, ist dessen 50. Geburtstag. Es würde auch ziemlich verwirrend klingen, wenn er bei der Vollendung seines 50. Lebensjahres eine Feier anlässlich seines 51. Geburtstags veranstaltet hätte. Eine hochbetagte Dame, die 107 Jahre alt geworden ist, erlebt an diesem Tag ihren 107. Geburtstag – und nicht etwa ihren 108., wie ein Leser der Abendblatt-Redaktion glaubte mitteilen zu müssen.
Es ist immer gefährlich, Tage, Jahre, Jahrhunderte oder gar Jahrtausende an den Fingern abzuzählen. Klein Fritzchen beginnt mit eins und endet mit zehn, eine Dekade startet jedoch bei null. Eine Dekade ist die Gesamtheit von zehn Einheiten, ein Jahrzehnt ist der Zeitraum von zehn Jahren. Das 1. Jahrzehnt des 3. Jahrtausends begann am 1. Januar 2000 um 0 Uhr und endete am 31. Dezember 2009 um 24 Uhr.
Obwohl wir zu Weihnachten der Geburt Jesu Christi gedacht haben, sollten wir uns hüten, die Niederkunft Marias auf die Sekunde genau festlegen zu wollen. Dazu enthält die historische Chronologie (die Wissenschaft von der Zeitrechnung und -messung) zu viele Ungenauigkeiten, Rechenfehler und Korrekturen. Papst Gregor XIII. ließ zehn Tage einfach ausfallen. Die hat es in den heutigen Geschichtsbüchern rückblickend nicht gegeben. Auf Donnerstag, den 4. Oktober 1582, folgte unmittelbar Freitag, der 15. Oktober 1582. Diese Zeiteinteilung wird gregorianischer Kalender genannt (mit kleinem „g“). Sie löste den julianischen Kalender ab, den Caesar 46 v. Chr. eingeführt hatte und der nach seiner Familie, der Gens Julia, benannt worden war (wie übrigens auch der Monatsname Juli).
Der gregorianische Kalender setzte sich in nicht katholischen Ländern allerdings nur zögernd durch. Teilweise galt in orthodoxen Staaten der julianische Kalender, der seit dem Jahr 1900 eine Differenz von 13 Tagen zur gregorianischen Norm aufweist, bis nach dem Ersten Weltkrieg. Übernommen wurde danach nur der Kalender, aber nicht die julianische Feiertagsberechnung. Wundern Sie sich also nicht, wenn in Ihrer Straße mit hohem Migrantenanteil das orthodoxe Weihnachtsfest erst am 7. Januar gefeiert werden wird.
So beeinflusst Gaius Julius Caesar unseren Alltag bis auf den heutigen Tag. Das älteste Lehnwort aus dem Lateinischen geht auf seinen Namen zurück, das Wort Kaiser in der Bedeutung „Herrscher des Römischen Reiches“. Dass die Bezeichnung sehr früh ins Germanische gelangt ist, zeigt die Aussprache des anlautenden „c“ als „k“ und des „ae“ als „ai“. Die Aussprache von „c“ als Zischlaut wurde erst im fünften Jahrhundert üblich. Zu der Zeit erreichte das Wort auch den slawischen Sprachraum, wo mit dem ts-Anlaut aus Caesar der Herrschertitel Zar entstand.
Die Begegnung der Germanen mit der römischen Kultur an Donau und Rhein hat eine Welle von Lehnwörtern in unsere Sprache gebracht. Ein Lehnwort ist ein aus einer fremden Sprache übernommenes Wort, das sich in Aussprache, Schreibweise und Flexion der übernehmenden Sprache angepasst hat – zum Beispiel Mauer aus lat. murus, Fenster aus fenestra oder Kammer aus camera. Auch die römische Sitte des Weintrinkens bereicherte den germanischen Wortschatz, so mit Most („junger Wein“) von lat. mustum, Winzer von vinitor, Kelter von calcatura oder Kelch von calix.
Wörter tummeln sich gern in fremden Sprachen. So wie es Entlehnungen gibt, so gibt es allerdings auch Rückentlehnungen, bei denen die Wörter nach einer Rundreise durch Europa wieder in ihr Heimatland zurückkehren. Das germ. *salaz (aus einem Raum bestehendes Haus der Germanen) gelangte über das ital. sala als salon ins Französische, um nach längerem Auslandsaufenthalt als Salon heimzukommen. Das deutsche Bollwerk wurde in Frankreich zum boulevard, um dann als Boulevard wieder Einlass in Deutschland zu finden. Die Bank im Sinne von „längliche Sitzgelegenheit“ geriet als banca, banco an die Italiener. Dort entwickelte sich die Bedeutung „langer Tisch des Geldwechslers“, sodass die Bank als Geldinstitut nördlich der Alpen rückentlehnt werden konnte.
Der Verfasser, 72, ist „Hamburgisch"- Autor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Sprach-Kolumne erscheint dienstags