Statistik über Verkehrsunfälle zeigt: Die Forderungen nach mehr Überwachung sind richtig
Nun, sehr populär dürfte diese Forderung zum Jahresausklang nicht sein: Weil ein zu hohes Tempo oft Ursache für schwere Unfälle in der Stadt sei, plädieren die Grünen jetzt für mehr Kontrollen, also mehr Blitzeranlagen an den Unfallschwerpunkten in Hamburg.
Mehr Blitzer, mehr Radarkontrollen? Man ahnt, welche Reaktionen auf eine solche Forderung folgen werden. Von „Abzocke“ wird dann wieder die Rede sein, von Kontrollwut und ähnlichen Dingen. Schnelles Fahren mit dem Auto – das ist eben weitgehend akzeptiert. Radiosender warnen sogar regelmäßig vor Radarfallen. Völlig ungeniert rufen andere Verkehrsteilnehmer an und nennen die Abschnitte, wo die ungeliebten Blitzer stehen. Überspitzt formuliert, stehen sie Schmiere, um vor der Polizei zu warnen. Und wenn wie jetzt im Herbst eine landesweite, angekündigte Großkontrolle stattfindet, wird sie öffentlich so wahrgenommen und bewertet, als ob die Autofahrer durch Hamburg und den Norden schlichen.
Schleicht man also, wenn man vorschriftsmäßig fährt? Im Umkehrschluss heißt das, dass derjenige normal fährt, der zu schnell unterwegs ist. Doch sollte es wirklich die Regel sein, sich nicht an das Tempo zu halten, das vorgeschrieben ist? Ist es normal, eine Spielregel regelmäßig zu ignorieren, die einen vernünftigem Ausgleich zwischen Risiko und Fortkommen schaffen soll? Ein paar Fakten müssen da nachdenklich machen: Beim Zusammenprall zwischen Auto und Fußgänger liegt das Risiko, zu sterben, für den schwächeren Verkehrsteilnehmer bei Tempo 30 bei etwa fünf Prozent. Bei einer Aufprallgeschwindigkeit von 50 Stundenkilometern steigt das Todesrisiko auf 40 Prozent, bei Tempo 70 sogar auf 90 Prozent.
Aber auch für den Pkw-Fahrer selbst ist ein hohes Tempo gleichzusetzen mit einem hohen Risiko: Ein Aufprall mit Tempo 30 auf ein festes Hindernis wie einen Baum entspricht einem Sturz aus einer Höhe von 3,50 Metern. Bei Tempo 70 ist die Wirkung vergleichbar mit dem Fall eines Autos aus fast 20 Meter Höhe.
Interessant ist auch die Berechnung der europäischen Verkehrssicherheitsbehörden: Würde jeder Autofahrer in der EU seine Geschwindigkeit nur um ein Prozent drosseln, gäbe es vier Prozent weniger tödliche Unfälle: also gut 2200 weniger Verkehrstote!
Freiwillig wird eine solche Drosselung des Verkehrstempos kaum gelingen. Selbst wer sich solche Berechnungen vor Augen führt, als Radfahrer und Fußgänger das gnadenlose Rasen auf unseren Straßen einmal aus anderer Perspektive erlebt, erwischt sich selbst oft genug dabei, dass er mit dem Auto ebenfalls zu schnell durch die Stadt braust. Mal ist es die scheinbar freie Fahrt nach endlosen Staus, die dazu verführt. Häufig sind es aber auch die heutigen Pkw, die immer komfortabler und leiser geworden sind. Wie in einem Raumschiff gleitet der Fahrer dahin, von den Gefahren auf der Straße scheinbar abgeschirmt. Leicht entgleitet einem so aber auch das Gefühl für die sichere Geschwindigkeit.
Mehr Blitzer und empfindliche Strafen wie Fahrverbote könnten da etwas entgegensetzen, weil diese „Gefahr“ dem Autofahrer dann ständig vor Augen stünde. Stärkere Kontrollen wie in den Niederlanden oder häufige Schwerpunktaktionen wie in Nordrhein-Westfalen sollen jedenfalls tatsächlich dazu geführt haben, dass weniger schnell gefahren wird und weniger Menschen im Verkehr ums Leben kommen.
Und deshalb ist die Forderung der Hamburger Grünen richtig: Bei mehr Kontrollen geht es eben nicht darum, irgendein Freiheitsrecht einzuschränken. Es geht darum, andere zu schützen.
Axel Tiedemann ist Reporter in der Lokalredaktion des Abendblatts