Wie sollen die SPD-Mitglieder abstimmen, wenn sie die künftigen Minister nicht kennen?
Es ist seltsam, wie in Deutschland in diesem Jahr eine Regierung zustande kommen soll. Dass es schlicht undemokratisch ist, wenn annähernd 475.000 SPD-Mitglieder über einen Koalitionsvertrag abstimmen und damit am Ende das Votum aller Wähler ad absurdum führen könnten, ist an dieser Stelle ausführlich thematisiert worden.
Aber es kommt noch abstruser: Wenn sich die Sozialdemokraten schon für diesen einmaligen Weg entscheiden, dann sollen sie doch bitte auch so konsequent sein und ihren Genossen verraten, wer die Männer und Frauen sind, die die verabredeten Ziele erreichen sollen. Denn natürlich ist es ein Unterschied, ob der Bundesinnenminister Friedrich oder Oppermann heißt, natürlich sieht die Arbeit einer Ministerin Nahles anders aus als die einer von der Leyen – um nur zwei Beispiele zu nennen. In der Politik sind Personen mindestens so wichtig wie Inhalte, manchmal sogar wichtiger. Dies ist nicht anders als im Fußball: Eine Mannschaft, die von Otto Rehhagel, dem Europameister des 1:0, trainiert wird, spielt ganz anders als ein Team, das auf die Taktik von Jürgen Klopp hört. Auch, wenn am Ende beide Titel gewinnen können.
Warum die designierte Große Koalition den Mitgliedern der SPD die Namen der Köpfe hinter dem Regierungsvertrag trotzdem nicht nennen will, bleibt ihr Geheimnis. Zumal natürlich längst feststeht, wer Ministerin oder Minister wird, und der eine oder andere Name sowieso durchsickert oder noch durchsickern wird. Im Auswärtigen Amt freut man sich schon seit Tagen auf die Rückkehr des sehr geschätzten Frank-Walter Steinmeier (SPD), der als Nachfolger seines Nachfolgers Guido Westerwelle (FDP) gesetzt scheint. Dass das Verkehrsministerium in den Händen der CSU bleibt, steht angesichts der Bedeutung der Pkw-Maut für die bayerische Partei auch fest. Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel wird voraussichtlich eine Art Superminister für Wirtschaft und die Energiewende werden, womit auch der Weg für eine weitere Amtszeit von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) frei wäre. Karl Lauterbach wäre zumindest aus SPD-Sicht ein geeigneter Kandidat für das Gesundheitsministerium usw.
Es entbehrt nicht einer gewissen Albernheit, diese und andere feststehenden Personalentscheidungen ausgerechnet jenen vorzuenthalten, in deren Hände man in den nächsten Tagen die endgültige Entscheidung über Schwarz-Rot legt. Und es zeugt davon, dass die handelnden Personen ein seltsames Bild von der eigenen Bedeutung haben. Sehr geehrte Herren und Frauen Minister, sie sollten wissen, dass Sie und Ihre Taten relevanter sind als jeder einzelne Satz, der jetzt in den langen Koalitionsvertrag geschrieben wurde.
Es bleibt in diesem Zusammenhang die Frage, welche Rolle eigentlich Hamburg im neuen Kabinett spielen wird. Bürgermeister Olaf Scholz war ja neben den jeweiligen Parteivorsitzenden einer der wichtigsten Unterhändler, wurde auch noch in der letzten, entscheidenden Nacht dazugezogen, als es ums Geld für die neuen Projekte ging. Scholz wird nun sicher nicht Mitglied der Regierung werden, weil der einzige Platz, der für ihn adäquat und interessant wäre, in der nächsten Legislaturperiode von einer Frau besetzt wird – wobei Angela Merkel sich wahrscheinlich über keinen sozialdemokratischen Minister so freuen würde wie über Olaf Scholz. Die beiden verstehen sich sehr gut. Aber, wie gesagt: ausgeschlossen.
Trotzdem wäre es genauso seltsam wie die oben geschilderten Umstände der Regierungsbildung, wenn nach der großen Hamburger Beteiligung an den Koalitionsverhandlungen nun niemand aus der Hansestadt einen Posten im Kabinett bekäme. Und im Sinne von Olaf Scholz, der Hamburg in Berlin stärker machen will, wäre es erst recht nicht.