Das Indogermanische hat viele Nachkommen hervorgebracht. Der lange Weg des Deutschen vom Schwarzen Meer bis an die Elbe.
Wenn heutzutage nicht klar ist, wer von wem abstammt, wenn die Vaterschaft umstritten ist, wenn sie bestritten wird oder wenn die Mutter gar selbst den Überblick über ihre diesbezüglichen Aktivitäten verloren hat, hilft die DNA-Analyse, um die Verwandtschaftsbeziehungen eindeutig festzustellen. Auch bestimmte Sprachgruppen haben eine entsprechende Erbanlage, die ihre Verwandtschaft untereinander belegt.
Verfolgen wir das Deutsche bis tief in die Vergangenheit, so treffen wir zwar nicht auf Adam und Eva oder auf die angebliche Sprachverwirrung beim Turmbau zu Babel, aber auf ein Steppenvolk nördlich und nordöstlich des Schwarzen Meeres. Im Laufe der Jahrhunderte zogen verschiedene Stämme bis nach Indien, Persien, ans Mittelmeer und breiteten sich über ganz Europa aus. Die Sprachen der jeweiligen Völker entwickelten sich fort, lassen sich aber unter Beachtung der lautlichen und grammatischen Gesetzmäßigkeiten auf eine Ursprache zurückführen. Diese europäische Ursprache nennen wir nach den am weitesten im Osten (Inder) und im Westen (Germanen) siedelnden Völkern das Indogermanische. Da der Begriff der Germanen nach dem Zweiten Weltkrieg ein wenig in Verruf geraten war, wird seitdem häufig der Name Indoeuropäisch verwendet. Beide Ausdrücke bedeuten dasselbe.
Es gibt keine schriftliche Überlieferung des Indogermanischen, nur etymologische Rückschlüsse auf gewisse Urwörter unserer Sprachen. Eine solche Form wird mit einem Stern gekennzeichnet (*). Das bedeutet, dass sie in keinem Text überliefert, sondern durch Sprachvergleich nachträglich erschlossen worden ist. So finden wir das idg. *neu-jo- als neu (deutsch), náva- (altind.), neós (altgr.), novus (lat.), new (engl.) oder novyj (russ.) wieder.
Ein solcher Sprachvergleich zeigt aber auch, dass es „Fremdkörper“ im europäischen Sprachverbund gibt, weil etwa fremde Reitervölker wie die Ungarn zu späterer Zeit aus fernen ostasiatischen Steppen hereingebrochen sind. Neben Ungarisch sind auch Finnisch, Estnisch, Maltesisch sowie Türkisch, Baskisch und Georgisch nicht mit den übrigen indogermanischen Sprachen verwandt.
Das ursprüngliche Siedlungsgebiet der Germanen war Südskandinavien, Dänemark und Norddeutschland zwischen Elbe und Oder, das sich, weil sich das Klima damals ganz ohne CO2-Ausstoß, Autoverkehr und Kohlekraftwerke immer weiter verschlechterte, wegen der erzwungenen Wanderung der Völker immer mehr nach Süden ausbreitete.
Das Urgermanische unterschied sich vor allem durch die erste, die „germanische“ Lautverschiebung vom Indogermanischen. So wandelte sich zum Beispiel lat. piscis zu deutsch Fisch, lat. duo zu engl. two. Durch eine zweite Lautverschiebung wurde das Sprachgebiet der alten germanischen Stammessprachen in einen südlichen und einen nördlichen Bereich geteilt. Sie trennten die hochdeutschen von den westgermanischen und altsächsischen Sprachen. Dazu gehört auch das Niederdeutsche, das den Eigennamen Plattdeutsch trägt und das noch bis in das letzte Jahrhundert hinein die Muttersprache in Hamburg und um Hamburg herum war. Das Hochdeutsche kam mit der Reformation als Fremdsprache in den Norden und nach Hamburg, vor allem durch Luthers Bibelübersetzung. Vorbild war die Meißner Kanzleisprache. Daher stammt der Ausdruck Missingsch. Er bezeichnet keinen Mischdialekt aus Hoch- und Niederdeutsch, sondern vielmehr den missglückten Versuch eines Plattdeutschen, Hochdeutsch zu sprechen.
Auf ihrem sprachgeschichtlichen Weg vom Indogermanischen bis zur deutschen Gegenwartssprache haben viele Wörter einen Wandel erfahren. Selbst wenn ihre äußere Gestalt unverändert blieb, konnte sich ihre Bedeutung ändern. Eine Bedeutungsverschlechterung erfuhr das Wort Gift, das vom Verb geben kommt und ursprünglich eine Gabe oder ein Geschenk war, wie es noch in der Mitgift oder im engl. gift zum Ausdruck kommt. Später wurde es verhüllend für eine schädliche, todbringende Gabe gebraucht. Eine Bedeutungsverbesserung liegt bei der Arbeit vor, die früher „Mühe, Mühsal, Last, Plage, Unglück“ bedeutete, heute jedoch als zweckgerichtete geistige oder körperliche Tätigkeit mit Anklang an Vollbeschäftigung und flächendeckenden Mindestlohn verstanden wird.
Der Verfasser, 72, ist „Hamburgisch“-Autor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Sprach-Kolumne erscheint dienstags