Wer etwas über den Zustand der Emanzipation in unserer Gesellschaft wissen will, sollte Krimiserien im Fernsehen schauen

Krimiserien im Fernsehen sind ein Gradmesser der Emanzipation. Diese Erkenntnis ist nicht neu, die konkrete Umsetzung aber immer wieder spannend. Weit häufiger als im wirklichen Leben sind Frauen im Fernsehen heute die leitenden Ermittler. Und viel häufiger als im wirklichen Polizeialltag sind sie dabei mit wachsender Gewalt konfrontiert. Wenn man dieses Bild deutet, heißt das: Es gibt für Frauen keinen Schonraum mehr, wenn sie in einen Männerberuf einscheren.

Nicht nur Sabine Postel, die Bremer „Tatort“-Hauptkommissarin Inga Lürsen, kriegt immer mal was aufs Auge, weil sie sich ja mit ihrer störrischen Art immer genau da aufhalten muss, wo Gefahr droht, zuletzt bei der Wiederholung „Stille Wasser“ am Freitag. Von Charlotte Lindholm ist man schon gewöhnt, dass sie sich in den Höhlen der Löwen herumtreibt, an Heizungen festgekettet wird und Schläge einsteckt. Hart im Nehmen ist auch ihre Wiener Kollegin Bibi Fellner, die aus ihrer Zeit bei der Sitte noch manche schattigen Kontakte zu den ganz schweren Jungs hat. Allein diese drei markieren das Ende der Opferrolle.

Und umgekehrt ist es bei Täterinnen genauso. Eine Frau, die sich um ihren Lebenstraum betrogen sieht, ist wirklich zu äußerster Brutalität fähig und überfährt ihre Konkurrentin gleich fünfmal mit dem Auto, wie Matthias Brandt als Kommissar von Meuffels in der Folge „Kinderparadies“ beim „Polizeiruf 110“ schockiert erkennen musste.

Wenn eine Frau gleich mehrere Menschen tötete, musste sie im Fernsehen bisher psychisch krank sein wie 2006 in „Tod im Paradies“, einer Folge von „Mankells Wallander“, die am Sonnabend wiederholt wurde. Heute braucht sie nur ein starkes, rabenschwarzes Motiv. Zumindest im Krimi, aber die Drehbücher werden ja auch von Menschen geschrieben, überwiegend von Männern. Sie trauen den Frauen heute eben alles zu.

Science-Fiction-Autoren träfen mit ihren Prognosen die Entwicklung oft besser als Wissenschaftler, sagte kürzlich ein Zukunftsforscher. Dasselbe könnte man von Drehbuchautoren sagen. Sie müssen sich nicht damit herumplagen, ob ihre Ermittlerinnen dienstaufsichtsrechtlich und polizeirechtlich Vorschriften einhalten (was sie selten tun). Sie müssen nur Figuren schaffen, die in sich glaubwürdig sind und die ein paar Eigenschaften haben, in denen sich das Publikum wiedererkennt.

Und da haben sie offenbar den zeitgenössischen Geschmacksnerv vieler Zuschauerinnen getroffen. Viele der Kommissarinnen sind Einzelkämpferinnen, alleinstehend, kampferprobt im Bermudadreieck zwischen Vorgesetzten, Kollegen und Privatleben. Die Wiener Kommissarin Bibi Fellner mit ihrem Faible für Jägermeister, ihrer endlosen Therapie und dem Firebird vom Inkasso-Heinzi, weil der Heinzi gerade im Knast sitzt, entspricht dem Katastrophenmodell, das eine Frau mit Stehvermögen erfordert.

Charlotte Lindholm ist „unterkühlt wie ihr nordisches Einsatzgebiet und spröde wie Lüneburger Heidekraut“, befand die „Brigitte“, quasi ein „einsamer Wolf“ im Körper einer Teilzeitmutter. Andrea Sawatzki als Frankfurter Ermittlerin Sänger, die wortkarge Hauptkommissarin Lürsen (eine bekennende Rabenmutter), die Saarbrücker Hauptkommissarin Lisa Marx oder die Leipzigerin Eva Saalfeld – allen ist gemeinsam, dass sie sich einer mütterlichen, kümmernden Rolle im Kollegenkreis komplett verweigern.

Den Kaffee kocht nicht mal mehr die gefühlige Konstanzerin Klara Blum. Insgesamt bringen es die „Tatort“-Kommissarinnen bisher nur auf zwei Kinder, was dem demografischen Trend entspricht. 25 Jahre nach der Pionierin Marianne Buchmüller (die gab's nur drei Folgen lang) sind die Frauen viel härter geworden. Ihre privaten Brüche, beruflichen Traumata und Emotionen machen sie mit sich selbst aus.

In den TV-Krimiserien ist die Frau also ähnlich abwehrbereit wie die Kommissare der 80er-Jahre, während ihre heutigen Kollegen immer introvertierter, verunsicherter und weltfühliger werden. Wenn die Romanautoren recht behalten, ist die Frau der Zukunft eine kühle Einzelkämpferin. Ist das nun gut oder schlecht?

Na ja: Jede Gesellschaft kriegt die Frauen, die sie verdient.