Wir müssen dort helfen, wo die Menschen zu Hause sind. Sonst kommen sie zu uns. Ein Plädoyer für Entwicklungszusammenarbeit
Vor einiger Zeit reiste ich mit unserem Hilfswerk Misereor nach Äthiopien. Wir waren im Land unterwegs und besuchten Partner unserer kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit. Bei einer längeren Autofahrt sah ich aus dem Fenster ein riesiges Gebiet, das mit Gewächshäusern bebaut war.
Ich fragte meinen Begleiter, was es damit auf sich habe. Dieser antwortete mir, dass ein indischer Investor die Gewächshäuser errichtet habe, um dort Blumen für den ausländischen Markt anzupflanzen.
Meine erste Reaktion war: Ausländische Investitionen – das bringt Arbeitsplätze und Entwicklung. Doch mein Begleiter korrigierte mich: Auf diesem Land lebten früher Kleinbauern und Viehzüchter. Diese hatten aber keine verbrieften Landrechte. Sie mussten für das Vorhaben des Investors weichen.
Was wurde aus den Menschen, fragte ich. Die Antwort: Einige wenige fanden dort Arbeit. Die meisten aber hatten ihre Existenzgrundlage verloren. Sie zogen fort, viele davon in die großen Städte, wo sie in Elendsquartieren hausen.
Solche Landnahme durch Investoren – legal, aber alles andere als legitim – ist in Äthiopien und vielen anderen Ländern des Südens weit verbreitet. Gelockt von finanziellen Angeboten verpachten örtliche Machthaber große Agrarflächen an ausländische Investoren oder Regierungen aus Übersee. Dabei wird in Kauf genommen, dass Bauern zu Landlosen werden und ihren Lebensunterhalt verlieren. Oft entsteht dann auch Streit um Wasser. Oder wichtige Naturräume werden vernichtet.
Die von Investoren dort angebauten landwirtschaftlichen Produkte sind meist nicht für den lokalen Markt bestimmt, sondern für Kunden im fernen Ausland. Eine Quelle spricht von mehr als 3,5 Millionen Hektar Land, das in Äthiopien seit 2008 – dem Jahr der globalen Nahrungsmittelkrise – auf diese Weise verpachtet wurde. Nutznießer ist nicht die angestammte Bevölkerung.
Was hat diese Landnahme mit uns in Hamburg zu tun? Bei uns leben viele Flüchtlinge, legal oder illegal. Keiner dieser Flüchtlinge verlässt seine Heimat ohne Not. Manche werden von bewaffneten Konflikten vertrieben, wie im Falle der unzähligen Frauen, Männer und Kinder, die Syrien wegen des dort tobenden Krieges verlassen müssen. Andere sehen in ihrer Heimat keine wirtschaftliche Zukunft mehr für sich und ihre Familien. Das gilt auch für die Bauern und Hirten, denen Land und Heimat genommen wurden. Sie versuchen ihr Glück in den Metropolen und landen dort meist in den Slums der Vorstädte. Oder sie machen sich gleich auf de langen und gefährlichen Weg nach Europa.
Seitdem ich regelmäßig im Süden zu tun habe, lässt mich der Gedanke nicht los: Entwicklungszusammenarbeit kann verhindern, dass Menschen als Flüchtlinge ihre Heimat verlassen. Unsere Flüchtlingspolitik macht am meisten Sinn, wenn wir dort ansetzen, wo die Probleme sind: in den Heimatländern der Flüchtlinge. Tun wir dies nicht, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Zahl derer stetig steigt, die nach Europa drängen.
Nachhaltige Entwicklung unterstützt die Menschen, die sich vor Ort einen auskömmlichen Lebensunterhalt schaffen. Sie eröffnet Perspektiven, die über die Stillung des unmittelbaren Hungers hinausgehen. Die weiten Gewächshausfelder in Äthiopien haben mir bewusst gemacht, dass Investitionen viel zu oft ohne die Menschen vor Ort vorangetrieben werden. Der derzeitige Landraub in vielen Staaten treibt Menschen in die Flucht. Wenn sie bei uns sind, müssen wir ihnen selbstverständlich helfen.
Am meisten helfen wir Hamburger ihnen, wenn wir durch unsere Entwicklungswerke dazu beitragen, dass sie in ihrer Heimat menschenwürdig leben können.
Der Autor ist Erzbischof von Hamburg und Vorsitzender der Misereor-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz