Die Geduld der Politik mit dem Occupy-Lager schwindet
Selten dürfte eine Protestbewegung zu Beginn so beliebt gewesen sein, quer durch Gesellschaftsschichten und Altersgruppen. Schließlich ging es darum, ein "aus den Fugen geratenes Finanzsystem, die Gier von Bankern und die Auswüchse des Turbokapitalismus" zu attackieren. Und so wurde, ohne dass je eine konkretere Idee dahintergestanden hätte, der schiere Protest gesellschaftsfähig und eine Maske zum Symbol, das auch Hausfrauen aus Kirchwerder, Handwerker aus Sasel oder Lehrer aus Winterhude irgendwie mochten. Die des englischen Offiziers Guy Fawkes, der 1605 versuchte, seinen König zu töten. Ein verschmitztes Lächeln, ein listiges Bärtchen - und fertig war das Gesicht, das Anhänger der sogenannten Occupy-Bewegung für sich vereinnahmten. Interviews mit Maskengesichtern im Fernsehen, bebilderte Reportagen in den Zeitungen: Die bunten Camps in den Innenstädten wurden besucht wie Touristenattraktionen und unterstützt von Wildfremden.
Heute jedoch, Monate nach dem vorläufigen Höhepunkt der Bankenkrise in Deutschland, ist die Bereitschaft drastisch gesunken, im Zentrum ein wildes Lager mit Bretterbuden, bunten Zelten und Lagerfeuern zu tolerieren. Verständlich. Ist der Platz schon ohne Camper nicht schön, man kann den Gertrudenkirchhof auch gern als kalt oder steril bezeichnen, so hat er, nett gesagt, durch die illegalen Behausungen nicht gewonnen.
Es gibt keinen Grund mehr für ein solches Camp mitten in der Stadt. Der Protest war wichtig und berührend zugleich, er hat in Politik und Gesellschaft ein Umdenken gefördert. Doch jetzt wird das öffentlich lange unterstützte Lager offensichtlich zum Selbstzweck der Bewohner. Sympathie und Unterstützung für ihre Ziele drohen sich ins Gegenteil zu verkehren. Den Campern scheint es immer weniger um den Protest gegen Bankenexzesse zu gehen, sondern wie auf einem Bauwagenplatz um das Recht auf selbstbestimmtes Leben. Doch das muss nicht mitten in der Stadt sein.