Hamburg muss als wachsende Stadt neue Wege in der Verkehrspolitik wagen
Mit Ironie könnten es die hiesigen Verkehrspolitiker als Erfolg verbuchen: Hamburgs Radfahrpolitik kommt voran. Im aktuellen Städtevergleich des ADFC hat die Hansestadt tatsächlich Wiesbaden überholt und ist nicht mehr Letzter, sondern kommt auf Rang 34 von 38 Städten. Mit einer Durchschnittsnote von 4,4 bleibt die Versetzung nach Einschätzung des Fahrradclubs aber gefährdet.
Für die Hamburger Politik und Verwaltung sollte dieses Zeugnis Ansporn sein, endlich über die Velo-Routen hinauszudenken: Wer Radfahren attraktiver machen will, muss auf den Straßen Platz dafür schaffen, muss Ampelschaltungen verändern, sämtliche Einbahnstraßen öffnen. Das ist nicht teuer, wenn bei jeder Straßenbau- oder Sanierungsmaßnahme der Radverkehr mitgedacht wird. Doch dies, so ergab kürzlich eine Anfrage des GAL-Politikers Till Steffen, ist in Hamburg kaum der Fall - hier geht es "vorrangig um die Fahrbahndeckensanierung". Das Rad, es bleibt ein Stiefkind der Hamburger Politik. Erst kürzlich kassierte der Senat sein Ziel, bis zum Jahr 2015 den Anteil des Radverkehrs auf 18 Prozent zu verdoppeln. Dabei wäre mittelfristig, das beweisen Kopenhagen oder Bremen, ein Viertel und mehr möglich.
Allerdings gibt es auch beim Radverkehr Grenzen des Wachstums - das zeigt schon der Blick ins regengraue Hamburger Wetter. Es wäre töricht, die Verkehrspolitik fortan einseitig auszurichten. So ist der ideologisch aufgeladene Streit um oder besser gegen das Auto ziemlich albern. Wer noch immer Umweltzonen, Fahrverbote oder eine City-Maut in Hamburg fordert, leugnet die Zahlen: Der Autobestand in der Hansestadt ist seit Jahren rückläufig, der Verkehr gerade in der Innenstadt hat seit Beginn der 90er-Jahre deutlich abgenommen. Dieser Trend wird sich dank intelligenter Modelle des Autoteilens noch weiter verstärken. Die Pkw sind nicht mehr das große Problem.
Ohnehin spiegelt der Anteil des Autoverkehrs nur das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs. Der ist in der Hansestadt zwar nicht schlecht - der HVV verweist alljährlich auf stolze Zuwächse -, verbesserungswürdig bleibt er doch. Als Gefangener seines Wahlversprechens von 2011 sperrt sich Bürgermeister Olaf Scholz gegen eine Stadtbahn. Im Kampf um das Rathaus hatte er den schwarz-grünen Plänen damals eine radikale Absage erklärt. Deshalb setzt der rote Senat nun auf sein umstrittenes Busbeschleunigungsprogramm. Es mag Busse vielleicht minimal schneller machen, bequemer aber werden sie nicht. Trotz des 259 Millionen Euro teuren Programms wird weiterhin jeder dreiste Paketfahrer Dutzende Fahrgäste ausbremsen können, auch ein Wasserstoff- oder Elektroantrieb macht das Busfahren nicht sicherer. Hamburg brüstet sich gern damit, die Buslinie 5 sei europaweit die am meisten genutzte. Man könnte es auch anders sehen: Keine Metropole käme auf die schräge Idee, eine solche Nachfrage mit Bussen zu bedienen. Bis weit in die SPD und die Hochbahn hinein weiß man längst um die Schwächen der Busbeschleunigung - und redet sie schön: Immerhin könne man auf den neuen Busspuren schneller Stadtbahngleise verlegen, heißt es da.
Eine so verdruckste Verkehrspolitik passt nicht zu den mutigen Ansprüchen, die Bürgermeister Olaf Scholz am Dienstag vor dem Übersee-Club formuliert hat. Eine Stadt, die auf zwei Millionen Einwohner wachsen will, darf kein Verkehrsmittel in den Mittelpunkt stellen, das für Provinzstädte wie Goslar oder Vechta das Maß aller Dinge sein mag. Sollte die Hansestadt weiter wachsen, bedarf es größerer Lösungen, bedarf es der Stadtbahn. Wer, wie Olaf Scholz, ehrgeizige Visionen für 2030 entwirft, sollte das eigentlich wissen.